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Sarkozy

© Laif

Sarkozys Wahlkampf: Der Sieger, der sich selbst besiegt

Fragmente einer Sprache der Macht: Yasmina Rezas Buch über Nicolas Sarkozy.

Der erste, journalistisch-pawlowsche Reflex: Dieses Buch über Nicolas Sarkozy und seine Wahlkampagne 2006/07 kommt in der deutschen Übersetzung zu spät. Viel zu spät – weil das Objekt der Begierde inzwischen mit einer geradezu rauschhaften Raserei tagtäglich neue Geschichten, Bilder, Nachrichten, Anekdoten produziert. Von der Politik bis zum Privaten. Auf allen Kanälen, in allen Spalten.

Yasmina Reza, die Pariser Autorin von Romanen und Theater-Weltbestsellern wie „Kunst“, „Dreimal Leben“ und „Der Gott des Gemetzels“, hatte im Frühjahr vor zwei Jahren den damaligen französischen Innenminister Sarkozy um sein Einverständnis gebeten, ihn bei seinem Präsidentschafts-Wahlkampf aus nächster Nähe beobachten zu dürfen. In Flugzeugen, auf Schiffen, in Zügen und Autos, bei offiziellen Auftritten und bis spät in die Nacht in Hotels, in abgeschirmten Konferenzzimmern, auch dort, wo keine Journalisten und Außenstehende zugelassen waren. Sarkozy reagierte geschmeichelt und offen, denn ganz gleich, was sie schreibe, er lese sowieso keine Bücher über sich. Die wohl einzige Bedingung: kein Wort über Cécilia, nichts über ihn und seine Frau.

Schon diese Voraussetzung ist heute Asbach. Cécilia heißt längst Carla, und Carlas Mann, als er der noch nicht war, scheint ein Mann von vorgestern zu sein. Weil Sarkozy, der sich immerzu selbst überholen will, der größte Zeitbeschleuniger der globalisierten Dauerunreife (von Tomaten, Erdbeeren, Moden, Politikern) ist. Also könnte auch Yasmina Rezas Buch, das in Frankreich gleich nach Sarkozys Wahl gedruckt und hunderttausendfach verkauft wurde, in den nun erst auf Deutsch, Englisch, Spanisch erscheinenden Ausgaben bereits überholt sein.

Überholt – wenn man es selbst nur als nachgetragene Aktualität und höchstpersönliche Sarkozy-Studie liest. Dann wäre der hier geschilderte Mann durch die Politik und Publizität seiner kaum einjährigen Präsidentschaft tatsächlich passé. Doch halt! Das Buch, ohne Untertitel, heißt in der poetisch getreuen, durchweg brillanten Übersetzung von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel „Frühmorgens abends oder nachts“. Schon dieses „L’aube le soir ou la nuit“ signalisiert: Es ist ein Tagnachtbuch – und damit eines über die Zeit. Dabei wäre wohl nahegelegen, dass die weltweit erfolgreiche Dramatikerin über die Politik, über die Arena des Wahlkampfs und den dort paradierenden, springenden, stolpernden, triumphierenden Gaul nur als gernegroße Inszenierung, als Theater der Macht geschrieben hätte. Mit ihrem schriftstellerischen Blick fürs Metier, für menschliche Abgründe, dramaturgische Pointen, für Schein und Sein. Aber: „Das hätte mich gelangweilt, das wäre viel zu offensichtlich gewesen“, sagt Reza im Gespräch. Ihr Buch, in viele kurze, oft aus dem täglich beigefügten Notizblock in Form gebrachte Episoden und Detailbeobachtungen gegliedert, ist einerseits eine Chronik der laufenden Ereignisse: des um die Welt und durch Frankreich reisenden, rasenden Wahlkämpfers. Doch ist diese Chronik ebenso ein Traktat über den Kampf eines Menschen mit der Zeit. Und gegen die Zeit.

In Yasmina Rezas Nahaufnahmen erscheint der immer eilende, immer ein wenig hinkende (und in solchen Details auch Rezas Sympathie gewinnende) Sarkozy in seiner Terminhetze, seiner Ungeduld, Sprunghaftigkeit und nervös-temperamentvollen Begriffsschnelligkeit auch: als ständiger Zeitvernichter. Eben deshalb ist sein Lieblingsaccessoire neben dem allgegenwärtigen Handy die dicke Rolex – nicht einfach nur als Zeichen einer gewissen Geschmacklosigkeit. Denn wer mit der Zeit kämpft, braucht einen unübersehbaren Chronometer. Er misst, was sein Besitzer nie vermisst, weil die Zeit die Vergänglichkeit bedeutet. Und Sarkozy möchte in seiner ehrgeizigen Umtriebigkeit nicht nur seine Mitbewerberin Ségolène Royal besiegen. Sondern eigentlich Madame la Mort, wie der Tod auf Französisch heißt.

Sarkozy, das lernt man aus Rezas Buch, ist ein politischer Triebtäter. Aber das ist hier kein moralisches Urteil, sondern nur der Schluss daraus, dass ein kleiner Mann geschildert wird, der nicht aus reiner Großmannssucht nach der Macht greift, vielmehr aus der Angst vor dem Nichtstun, dem Nichtszutunhaben und der Einsamkeit. So, als böte ihm, der die Menschen seiner Umgebung gerne anfasst und schnell duzt (auch die Autorin Yasmina), als böte ihm ausgerechnet das höchste Amt auch die größte Macht, Freunde zu haben oder wenigstens Bewunderer, wenigstens Gesellschaft.

All das zeigt Reza in ihren anekdotischen und dabei glänzend formulierten Fragmenten als eher beiläufige, erzählerische Reflexion. Ohne prätentiös philosophischen oder gar psychoanalytischen Gestus. Meist liegt die tiefere Bedeutung, wie in ihren Stücken, direkt an der scharf ausgeschnitten Oberfläche. Nur wenn sie durch den Mund eines Freundes mal Mitterand zitiert, klingt das anders: Um Präsident zu werden, müsse „man begehren, lieben und schließlich auch wollen“. Sie fährt fort: „Während der Monate, die ich Nicolas begleitete, sah ich nur (noch) das Wollen...“ Das heißt, hier spielt einer schon sein letztes, fast ausgereiztes Spiel, jenseits von Begehren und Liebe, jenseits auch von essentiellen Inhalten und existentiellen Werten. Als ihr am Ende, in einem Epilog dann der Präsident im Élysée-Palast gegenübersitzt, allein, ohne Zeugen, „auf einem vergoldeten Bänkchen“, da fragt sie ihn, ob er nun „zufrieden“ sei. Seine Gegenfrage: „Dieses Wort wählst du?“ Er sagt, „ich bin gelassen“, aber „Freude empfinde ich nicht“. Hier gähnt auf dem Gipfel weniger Absturzangst als nur ein neuer Horror vacui. Vor der inneren Leere. Klar, Clara, da braucht der ernüchterte Machtmensch wenigstens eine Frau, irgendeine, und sei’s ein besseres Partygirl.

Wer das Buch als Fallstudie liest, nicht einfach nur über den „zufälligen“ N. S., sondern über den Typus eines modernen Politikers, der wird belohnt durch viele Einsichten hinter die Kulissen, die ihrerseits nur die Vorderbühne und oft genug das Publikum spiegeln. Belohnt und oft witzig, melancholisch, manchmal auch naiv unverblümt unterhalten. Dieses „Frühmorgens abends oder nachts“, das bewusst keinen Mittag und keine ruhende Mitte kennt, ist zugleich ein literarisches Roadmovie über die wechselnden Unorte der politischen Kampagne, über Flugzeughallen, Großbäckereien, Frauengefängnisse, Sozialarbeiterstationen, Hotelfoyers, Konferenzsäle, TV-Studios.

„Unorte“, wie Reza schreibt, weil immer nur Stationen einer Kampagne, und der Kämpe vorne und sein Tross haben keinen Blick und keine Zeit für die Umgebung, für Landschaften, für einzelne Menschen. Manchmal allerdings achtet gerade Sarkozy, der angeblich (und anders als seine Vorgänger) nichts liest und nur angelernt Rilke zitiert, verblüffend genau auf seine Worte.

Nicht nur in der zitierten Szene tritt dann bei Reza, die natürlich ein Ohr und ein Auge hat für die Sprache, immer wieder blitzartig ein anderer Sarkozy hervor. Nicht der Angeber, Rechthaber, Machtprotz. Oder der große Junge, der sich vor einer Rede schier kindlich freut, wenn er ein paar Popstars in seinem Publikum entdeckt. Dann sagt er plötzlich: „Du kannst kräftig und zerbrechlich zugleich sein. Übrigens macht Zerbrechlichkeit die Kraft erst erträglich.“

Diese essayistische Machtwerdungs- und Machtdämmerungsreportage lebt von ihrer Kunst der Beobachtung. Ein Treffen mit dem Altpräsidenten Giscard d’Estaing. Sarkozy: Sie schreibt ein Porträt über mich. – Reza: Ein Buch, Monsieur le Président. – Der freundlich hochmütige Giscard: Ah ja, eine Broschüre...?

So geht das, so ungefähr. Als Dichterin unter Politikern.

Yasmina Reza: „Frühmorgens abends oder nachts“. Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Carl Hanser Verlag, München 2008. 205 Seiten, 17,90 €. – Die Autorin stellt ihr Buch am Sonntag um 11 Uhr im Berliner Ensemble vor, am 31. 3. im Schauspiel Köln und am 1. 4. im St. Pauli Theater Hamburg.

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