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© dpa

Schätzing-Roman "Limit": Fahrstuhl ins All

Fünf Jahre nach dem Bestseller „Der Schwarm“ kommt das neue Buch des Erfolgsautors Frank Schätzing in den Handel. "Limit" spielt auf dem Mond, macht am Anfang ebenso abhängig wie der Vorgänger-Krimi und gewinnt aber genauso zunehmend an Schwäche.

Man nehme: einen Himmelskörper mit einem verlockenden Gehalt eines wundersamen Energieträgers, eine hübsche chinesische Dissidentin, eine kritisch nachfragende Öko-Journalistin, die gern Designermode trägt und indigenen Ursprungs ist, sowie einen schwermütigen Cyberdetektiv. Und ein paar Dutzend Bösewichte, eine Handvoll Schurkenstaaten und jede Menge Explosivstoffe. Alles schön vermengen und fertig ist ein Roman, der sich mit seinen 1300 Seiten (26 Euro) bereits in der ersten Auflage 400.000-fach verkauft. Davon geht zumindest Kiepenheuer & Witsch aus. Die optimistische Prognose liegt wohl weniger an den Ingredienzien als am Autor Frank Schätzing.

Fünf Jahre nach dem Bestseller „Der Schwarm“ kommt heute „Limit“ in den Handel. Das Konzept ist ähnlich. Personen, die über Hunderte Seiten nichts miteinander zu tun haben, erleben in ihrem Umfeld spannende Abenteuer, bis sich die Erzählbruchstücke in einem großen Finale zusammenfinden. Das alles passiert in weitgehend unbekannten Welten, so dass der Autor allerhand Wissenswertes unterbringen kann. Krimi mit Bildungsanspruch, so könnte man das nennen.

Die Handlung spielt im Jahr 2025

Nachdem Schätzing auf diese Weise fast alle Unterdisziplinen der Meeresforschung an die Leser gebracht hatte, widmen sich die Volkshochschulpassagen dieses Mal dem Mond und der Zukunft der Kommunikationstechnik. Die Trägersubstanz, also die Thrillerhandlung, spielt im Frühjahr 2025. Amerikaner und Chinesen haben bewohnte Stationen auf dem Mond errichtet und schürfen dort aus dem grauen Gestein eine seltene Sorte von Heliumatomen. Aus diesem Helium-3 wird auf der Erde billiger und klimafreundlicher Strom gewonnen.

Dass die Amerikaner weitaus größere Mengen des Helium-3 auf die Erde holen als die Chinesen und deshalb auch gleich die gesamte Erdölbranche kollabiert, schreibt Schätzing Julian Orley zu. Der überdrehte und doch liebenswürdige Unternehmer hat nicht nur die Fusionsreaktoren zur Marktreife gebracht, sondern auch einen 36.000 Kilometer hohen Fahrstuhl in den Orbit gebaut, der teure Raketenstarts überflüssig macht. Die übrigen 340.000 Kilometer bis zum Mond sind wegen der fehlenden Erdanziehungskraft schon heute kein großes Problem. Dieser Orley, dessen Ähnlichkeiten mit dem Berufsvisionär Richard Branson unübersehbar sind, hat eine Truppe schwerreicher Superpromis eingeladen, die ersten Gäste in seinem Hotel auf dem Mond zu sein. Natürlich kommen sie nicht als diejenigen zurück, die hinfuhren, und nur in verminderter Zahl. Ist schließlich ein Thriller.

So recht will der chinesische Funke nicht überspringen

Bis es zum Showdown auf dem Erdtrabanten kommt, müssen Passagiere und Leser lange warten, denn auch der zweite Hauptstrang will erzählt sein. Ein nomadischer Internetdetektiv soll eine chinesische Dissidentin aufspüren und findet sich sehr bald in einer wilden Verfolgungsjagd, die wahlweise mit technischen Raffinessen in digitalen Parallelwelten oder mit schwer bewaffneten Airbikes im Luftraum des Molochs von Schanghai ausgetragen wird.

So recht will der chinesische Funke nicht überspringen. Das beginnt damit, dass der Cyberschnüffler mit einer langen Szene im Filmstudio eines Kinderschänders eingeführt wird. Mit dem Rest des Buches hat das nichts zu tun. Man muss fragen, ob Schätzing damit voyeuristische Lust befriedigen will. Auch ein paar Seiten später wirkt dieser Owen Jericho etwas hastig ausgedacht. Dieser technikaffine Kerl zieht ein vergleichsweise simples Handy aus der Tasche, um zu telefonieren. Währenddessen bezieht die Reisegesellschaft ein mehrstöckiges Urlaubsparadies in Gestalt einer Frau, die über einem abgrundtiefen Mondkrater thront. Ein paar Kilometer weiter kauen monströse Metallkäfer den Mondboden durch, um Helium-3 zu gewinnen und in ihren Leibern zu bunkern.

Bekannte Orte wie die Berliner Innenstadt

Auf der Suche nach einem Kompromiss zwischen Glaubwürdigkeit und Visionärem versucht es der Kölner Autor mit bekannten Größen: Da schickt der Rapper Eminem seine Avatare auf die Bühne, weil der mittlerweile 54-Jährige nicht mehr so gelenkig ist, und David Bowie referiert als weiser alter Mann über Sinn und Unsinn von Mondfahrten. So was muss man mögen. Wie auch den Versuch, die Geschichte an eindeutig erkennbaren Orten zu erzählen, etwa in der Berliner Innenstadt. Was die Protagonisten dort erwartet, ist wenig überraschend. Aber wenn Schätzing recht hat, dann sollte es zumindest 2025 wieder einen funktionierenden S-Bahn-Verkehr in der deutschen Metropole geben.

Schätzings Können zeigt sich vor allem im ersten Teil. Wie beim „Schwarm“ gleichen auch in „Limit“ manche Szenen einer gedruckten Droge. Sie sind so spannend angelegt, dass man unbedingt wissen will, wie die Geschichte ausgeht. Ehe man sich versieht, ist man abhängig und absorbiert gierig Seite für Seite. Leider gibt es eine weitere Gemeinsamkeit zwischen beiden Büchern. Nach dem fesselnden Einstieg setzt Schätzing die Dosis immer weiter herab, das Werk gerät zunehmend zur Entziehungskur.

Zu viele Typen werden zu lange eingeführt, um bald darauf zu sterben oder nutzlos im Plot herumzulungern. Brenzlige Situationen werden seitenweise beschrieben, bis ins kleinste Detail. Man will nicht ständig Bilder, die einem das eigene Holodeck in den Kopf projiziert, korrigieren. Man will doch nur wissen, wie es weitergeht. Oder sollen die ausschmückenden Beschreibungen eine Drehbuchvorlage für Hollywood sein? Beim „Schwarm“ hat es ja auch geklappt. Die Filmrechte dafür haben Uma Thurman und die deutschen Produzenten Ica und Michael Souvignier gekauft. 2011 soll das Werk in die Kinos kommen.

Das Buch gewinnt mit zunehmender Entfernung

Kürzungen hätten dem 1300 Seiten-Wälzer „Limit“ durchaus geholfen, ebenso sprachlicher Schliff. Immer wieder werden Operationen oder Anschläge „durchgeführt“, und gleich auf der zweiten Seite soll ein Roboter zu einer „wissenschaftlichen Nutzlast“ schweben. Was ist denn das, geht es da um Gewichte? Dass diese Formulierung meist als Überbegriff für Messgeräte oder automatische Experimentanordnungen benutzt wird, weiß wohl kaum ein Laie.

Manchmal verbergen sich hinter der Bezeichnung eben doch Gewichtsangaben. Dann gerät sogar Schätzing ins Stolpern, wenn er Julian Orley vorrechnen lässt, dass es in der Vorzeit seines Weltraumlifts rund 50.000 Dollar kostete, ein Kilogramm aus dem Schwerefeld der Erde zu katapultieren. „Die komplette Apollo-11-Rakete wog fast 3000 Tonnen“, sagt der heimliche Mondherrscher und suggeriert, der erste bemannte Flug zum Erdtrabanten habe 150 Milliarden gekostet. Der Großteil der Startmasse war aber Treibstoff und löste sich in Luft auf; die Nutzlast wiederum bestand nur aus Kapsel, Landefähre, Astronauten und einer Flagge, was zusammen 45 Tonnen ergibt. Verglichen mit der Menge an Informationen, die Schätzing zusammengetragen hat, sind solche Kleinigkeiten jedoch zu verschmerzen.

Vielleicht liegt es daran, dass nur der Mond groß und weit genug entfernt ist, um die Fantasie wirklich abheben zu lassen. Seine Stärke hat das Buch nicht auf der Erde, es gewinnt mit zunehmender Entfernung. Wenn Schätzing die Mondgäste zum göttinnengleichen Hotelbau „Gaia“ blicken lässt, vor sich einen schwarzen Krater, hinter sich das grelle Grau des Mondgesteins, in der Ferne den blauen Planeten, dann begreift man, wie nah unbeschreibliche Faszination und abgrundtiefe Angst beieinanderliegen können. Und warum es immer wieder Menschen gibt, die dorthin wollen.

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