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Literatur: Schön und verdammt

Schnappschüsse einer verkaterten Gesellschaft: John O’Haras Großstadtroman „BUtterfield 8“

BUtterfield 8“ war einer der erfolgreichsten Romane in den USA der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts. Das verwundert nicht: Von Sex ist in diesem Roman doch sehr unverblümt die Rede, und der seinerzeit verbotene Alkohol fließt die Kehlen rauf und runter. In den Speakasies, den berühmten Flüsterkneipen New Yorks, tummeln sich Aufschneider und krisengebeutelte Geschäftsleute, mittellose Künstler und Frauen, die nicht den besten Ruf und trotzdem Manieren besitzen. Gloria Wandrous ist eins von diesen Mädchen – ausgesprochen schön und unverschämt jung, obwohl ihr Wissen über die Welt und die Männer sie älter erscheinen lässt. Verzweifelt ist sie auch, was nicht nur an einer gewissen Ziel- und Zügellosigkeit liegt, sondern auch an einer üblen Geschichte aus der Kindheit. Gloria ist verdorben und unschuldig zugleich, ein Partygirl, ein klein wenig verruchter und trinkfester als Capotes Holly Golightly in „Frühstück bei Tiffany“; aber auch weniger damenhaft als Elizabeth Taylor, die in der Verfilmung von „BUtterfield 8“ aus dem Jahr 1960 die Rolle der Gloria spielte.

Wir begegnen dieser ruhelosen Frau das erste Mal in einer schicken, riesigen Upper-East-Side-Wohnung, wo sie eines Sonntagmorgens mutterseelenallein erwacht: von dem Mann, der sie in der Nacht zuvor abgeschleppt hatte, keine Spur. Weil er ihr in einem Anflug von Begierde das Kleid zerrissen hatte, versucht er das Malheur mit sechzig Dollar zu bereinigen – die liegen samt kurzer handschriftlicher Nachricht auf dem Küchentisch bereit. So günstig kommt der Yale-Absolvent und verheiratete Geschäftsmann Weston Liggett dann allerdings doch nicht davon. Aus dem Schrank von Liggetts Frau nimmt Gloria sich einen Nerzmantel und zieht derart bekleidet von dannen. Die kleine Rache wird nicht ganz folgenlos bleiben.

Das ist der Auftakt eines ambitionierten Romans, der wie eine Sonde ins Innere seiner Zeit dringen will: Was die Sonde aus dem Moloch New York birgt, sind vor allem getriebene, ein wenig verstörte Helden, denen die Wirtschaftskrise und die eigenen unerfüllten Lebensvorstellungen zusetzen. O'Haras auktorialer Erzähler zieht durch die Bars und Nachtclubs Harlems, streift durch die urbane Welt aus Halbkriminellen, Bohemiens und Angestellten und heftet sich dann an die Fersen des erfolglosen Cartoonisten Eddie, des besten Freunds von Gloria. Auf perverse Weise wohl aber fühlt er sich in den privilegierten Kreisen der New Yorker Haute-Volée, weil sich dort seine Verachtung für die Dekadenz und Oberflächlichkeit der Figuren am besten Luft machen kann. Der Blick des Erzählers hat etwas Nervöses; lange hält er es meist nicht an einem Ort aus, aber präzise registriert er kleinste Details.

Was einmal für die Popliteratur der Gegenwart als Wesenskriterium ermittelt wurde – dass sie nämlich ein Archiv ihrer Zeit sei –, trifft auch auf O'Haras Roman zu: Das Nachtleben spielt eine gehörige Rolle, Zeitungsnotizen werden gesammelt, Schauspieler tauchen auf, Gossip und Ereignisse des Jahres 1930 werden zitiert. Das alles dient der Verdichtung: O'Hara würde gerne vieles gleichzeitig erzählen, Parallelhandlungen tatsächlich auch nebeneinanderstellen. Da das Medium Literatur dafür nicht gemacht ist, setzt er auf Geschwindigkeit, sich rasch abwechselnde Episoden und sogar Auflistungen: „Am Montagmorgen sprang ein unbekannter Mann in der U-Bahn-Station Fourteenth Street vor einen New Lots Expreßzug. Präsident Hoover erschien pünktlich zur üblichen Kabinettssitzung. Robert McDermott, ein Student der Universität Fordham, wurde für seine Ansprache in der Morgenandacht über die Heilige Jungfrau gelobt. Eine Frau namens Plotkin, die im Brooklyner Stadtteil Brownsville wohnte, entschied sich, ihren Mann endgültig zu verlassen.“

Überall lauern Geschichten, und alle ereignen sich in ein und demselben Moment. Mittendrin sehen wir Weston Liggett und Gloria Wandrous, die sich in der kurzen Zeit ihrer hoffnungslosen Liebschaft verzweifelt umkreisen. Dass Gloria – die „später in New York für so großes Aufsehen sorgen sollte“ – bei dieser fatalen Liaison unter die Räder (jene eines Schaufelraddampfers) kommen würde, ahnt man schon mit dem ersten Satz.

Eine Zeitungsnotiz über ein junges Mädchen, dessen Leiche an den Strand von Long Island gespült wurde, hatte John O'Hara zu seinem zweiten Roman inspiriert. Ein Jahr vor „BUtterfield 8“ – eine Anspielung auf die Neueinteilung der Telefonnummernbezirke in New York – war im Jahr 1934 sein erstes Buch „Begegnung in Samarra“ erschienen. John O’ Hara wurde in kürzester Zeit zu so etwas wie einem Szenestar, und er benahm sich dementsprechend: ein bisschen großkotzig und wie viele amerikanische Autoren gehörig dem Alkohol zuneigend. „BUtterfield 8“ sollte die Bestätigung seines Talents sein und wurde zu einem Publikums-, aber nicht zu einem Kritikererfolg. Das Buch hat tatsächlich seine Schwächen: Die vielen Nebenfiguren lassen den Roman ein wenig zerfasern. „BUtterfield 8“ wirkt angestrengt bemüht, will ein Panoptikum der Stadt New York und zugleich eine Tragödie sein. Beides aber funktioniert nicht ganz: Zum richtigen Metropolenroman fehlt die monomanische Größe des Entwurfs, zum Schicksalsdrama die Empathie. Die Helden werden nämlich – wohl bewusst – sehr auf Distanz gehalten; man sieht sie vorbeihetzen, aber nahe kommen sie einem nicht.

Was O'Hara aber vorzüglich gelingt, sind Snapshots einer ernüchterten, verkaterten Gesellschaft, der die Roaring Twenties noch so in den Knochen stecken, dass die Erschütterungen während der Great Depression sie um so mehr ins Wanken bringen. Die Vergnügungsgier soll hier das Remedium gegen die große Schwermut sein: Der Fun aber ist nur ein Placebo; am nächsten Morgen sind die Kopfschmerzen noch immer da.

John O'Hara: BUtterfield 8. Roman. Verlag C.H. Beck, München 2008. Aus dem Englischen von Klaus Modick. Nachwort von Richard Ford.

332 Seiten, 19,90 €.

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