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SCHREIB Waren: Wo bleibt die Differenz?

Andreas Schäfer über Mehrheitsprosa und den Hass Thomas Bernhards

Man liest die Einladung und spürt die Qualen geradezu am eigenen Körper, mit der die Veranstalter versucht haben, um Klischeehindernisse und Fettnäpfchen herumzueiern: Einerseits der Komplexität des Themas gerecht zu werden, ohne sich andererseits in der Floskelfalle zu verheddern. Es geht um ein Kurzsymposion (ab 17 Uhr) und anschließenden Lesungen (ab 19 Uhr 30) heute in der Friedrich Ebert-Stiftung (Hiroshimastraße 17) zur Frage: Warum spielen Migranten in deutschsprachigen Büchern von Autoren ohne Migrationshintergrund eine so geringe Rolle, während die Literatur von deutschsprachigen Autoren mit Migrationshintergrund so gefragt ist wie noch nie? Ist das überhaupt ein Widerspruch? Es ist also von „der Verworrenheit der Zustände“ die Rede, von „Begegnung auf Augenhöhe“, „Zuschreibungen“ und der „Prosa der ,Mehrheitsgesellschaft‘“. Fehlt nur noch die gute alte „Differenz“.

Wenn der Krampf dieser Ankündigung symptomatisch für den Gegenstand der Veranstaltung ist, dann besteht allerdings noch Gesprächsbedarf. Es diskutieren am Nachmittag unter anderem der Germanistik-Professor Norbert Dittmar mit der Projektleiterin Meral Cerci und dem Schrifsteller Imre Török. Am Abend lesen Terézia Mora, deren langersehnter zweiter Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ im August bei Luchterhand erscheint, Sherko Fatah, dessen letzter Roman „Das dunkle Schiff“ in diesem Jahr für den Buchpreis nominiert war, Zafer Senocak und Michael Wildenhain.

Apropos einerseits, andererseits: Thomas Bernhards Todestag jährt sich gerade zum zwanzigsten Mal. Was Bernhard von öffentlichen Literatursymposien gehalten hat, kann man nur ahnen, wenn man seine Erregungsdelirien in „Meine Preise“ gelesen hat, zu denen er sich von seinen offenbar als sehr quälend empfundenen öffentlichen Preisverleihungen hat inspirieren lassen. Zu dem Verhältnis von Eigenem und Fremdem hatte Bernhard bekanntlich eine sehr eigene, also einfach komplizierte Haltung. Bernhard selbst, also das Eigene, war gut. Mit Ausnahme weniger sogenannter Lebensmenschen wurden alle anderen aber (man kann ruhig sagen: die Bernhard-Fremden) von Bernhard konsequent verachtet und beschimpft. Politiker, Kollegen, das ganze verlogene Österreich. Interessanterweise schimpfte Bernhard auch auf Österreich, weil es, als ewiger Hort der Nazis, nicht sehr freundlich zu Fremden war. Ist das kein Widerspruch? Vielleicht. Aber bei Bernhard immer ein unterhaltsamer.

In einem Gedenkartikel war zu lesen, dass Bernhard so intensiv gehasst habe, weil er sich selbst zeitlebens fremd in der eigenen Haut gefühlt habe. „Na gut“, hätte Bernhard möglicherweise gesagt, mit mokanten Lächeln auf seine geliebte Heimatlandschaft geschaut und nach langer Pause ergänzt: „Der Artikel wurde auch von einem Österreicher geschrieben.“ Heute ab 20 Uhr 30 zeigt der Buchhändlerkeller in der Carmerstraße 1 ein Filmporträt von und Interviews mit Thomas Bernhard.

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