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SCHREIB Waren: Bleiben oder Gähnen

Andreas Schäfer über zwei Verlage, die ihre Städte prägten:

Wird der Geist eines Hauses eigentlich vom Ort beeinflusst, in dem dieses Haus steht? Natürlich, möchte man sofort antworten. Nur wenn es darum geht, diesen Hausgeist einzufangen und den Einfluss der Umgebung zu benennen, wird es kompliziert. Um konkreter zu werden: Ist der Suhrkamp-Verlag nach seinem Umzug von Frankfurt nach Berlin eigentlich noch der Suhrkamp-Verlag? Sicher. Die meisten Autoren und Mitarbeiter sind schließlich noch da. Aber etwas fehlt Suhrkamp in Berlin trotzdem.

Das nämlich, was sich nur mit der Zeit an einem bestimmten Ort einstellen kann, mit den Jahren des Wirkens und Verlegens, in denen sich die neuen Räume, die Wege zu den Verlagsgebäuden, die Cafés der näheren Umgebung mit dem Leben der Mitarbeiter und Autoren und auch der berichtenden Journalisten füllen – und in ihrem Windschatten Erinnerungen entstehen. In Frankfurt hat Suhrkamp seinen erstarrten Mythos zurückgelassen, ohne diesen Mythos ist er in Berlin aber erst einmal nicht mehr als eine reine Buchmaschinerie, ein Verlag, aber eben nicht das, was er in Frankfurt auch war: selbst ein Ort. Diese Nacktheit kann erschrecken, weshalb die Verlegerin bei der Eröffnung in Berlin auch gleich den Versuch unternahm, über die Autoren des Hauses und die beeindruckende Backlist eine Verbindung zum Vorkriegsberlin und seiner inspirierenden Atmosphäre herzustellen. Aufbruch ja – aber ganz ohne Aura-Umhang will man sich doch nicht aufmachen.

Was der Suhrkamp-Verlag für Deutschland, das war Einaudi für Italien. Eine Institution, eine nicht-universitäre Universität, ein Italien über Jahrzehnte beherrschender Geist, der nicht ohne die Stadt Turin zu denken wäre. Der Geist von Turin hat die Kritikerin und Essayistin Maike Albath ihre elegante Studie über den Verlag genannt, der in den dreißiger Jahren gegründet wurde, den Faschismus überstand und deren Strahlkraft noch bis in die achtziger Jahre spürbar war. Mit dem „Geist“, der sich nicht umsonst in der Stadt des Autobauers Fiat entwickelte, ist dabei die gegenseitige Befruchtung einer erstarkenden Arbeiterbewegung und brillanter Denker und Schreiber gemeint, die sich teilweise schon als Schüler kennen- lernten: Cesare Pavese, Leone und Natalia Ginzburg. Das Besondere bei Einaudi war auch, dass viele Mitarbeiter selbst schrieben, wie es ein heutiger Mitarbeiter formuliert. „Sie waren keine klassischen Verlagsmenschen, die ihre Nase in Kataloge steckten, sondern sie stellten jeder ein eigenes kleines kulturelles Zentrum dar.“ Morgen stellt Maike Albath ihr Buch im Gespräch mit Michael Krüger und Carlos Ginzburg, dem Sohn von Natalia und Leone Ginzburg, im Literaturhaus vor (Fasanenstraße 23, 19 Uhr).

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