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Literatur: Spalten und Zapfen

Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing versucht sich in „Die Kluft“ an der Schöpfungsgeschichte

Es ist ganz erstaunlich, dass eine Schriftstellerin wie Doris Lessing, die über einen Zeitraum von sechzig Jahren mehr als zwei Dutzend außergewöhnliche und originelle Romane geschrieben hat, von denen nicht wenige zu modernen Klassikern der feministischen wie der fantastischen Literatur wurden, noch immer gute Einfälle für einen Roman hat. Und es ist sehr traurig, wenn dieselbe hoch Schriftstellerin und frischgebackene Literaturnobelpreisträgerin diese gute Idee auf so stümperhafte Weise in den Sand setzt, wie sie das mit ihrem jüngsten Roman „Die Kluft“ getan hat.

„Die Kluft“ stellt die männlich zentrierte Sicht der biblischen Schöpfungsgeschichte (zuerst war Adam, aus dem schließlich Eva erschaffen wurde) auf den Kopf und zeichnet das Bild eines prähistorischen Volks auf dem Wege der Menschwerdung, das nur aus Frauen besteht. Diese Frauen leben an einer Küste, halb im Wasser und halb auf dem Land, in Aussehen und energetischem Auftreten offensichtlich an Walrösser erinnernd. Lessing scheint hier die sogenannte Wasseraffen-Hypothese der Pseudowissenschaftlerin Elaine Morgan aufgegriffen zu haben. Die Frauen, oder „Spalten“ wie sie in dieser Phase genannt werden, sind zur Parthenogenese fähig, das heißt sie gebären ohne fremdes Zutun, und zwar immer Mädchen. Ihr weitgehend bewusstseinsfreihes Vegetieren wird bestimmt vom Rhythmus der Wellen und des Mondes, bis zu dem Moment, den man, je nach Perspektive, als Sündenfall oder als Schöpfungsgeschichte deuten könnte: ein Junge wird geboren. Es ist dieser fiktive evolutionsgeschichtliche Moment, der das Potential für einen überaus faszinierenden Roman birgt. Einen Roman, den Doris Lessing leider nicht geschrieben hat.

Da es das Prinzip „männlich“ aber noch gar nicht gibt, wird der Junge und die vielen anderen, die ihm folgen, als ein Ungeheuer angesehen. Die männlichen Kinder werden getötet, verstümmelt, oder ausgesetzt. Doch die einmal in die Welt getretene Geschlechterdifferenz lässt sich nicht mehr beseitigen. Statt jedoch die nun folgenden Veränderungen aus der menschlichen Psyche zu erklären, bringen gottgleiche riesige Adler die ausgesetzten Babys einfach in ein Tal hinter der Küste, wo sie von einer ungewöhnlich menschenfreundlichen Hirschkuh gesäugt werden und zu Männern, oder „Zapfen“ heranwachsen.

Von da an ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine „Spalte“ einmal den Weg in das Tal findet, die „Zapfen“ entdeckt, und damit eine Entwicklung in Gang setzt, an deren Ende milliardenschwere Märkte für Eheberatung, Frauen- und Herrenmagazine sowie Pornovideos stehen. Willkommen in der Hölle der Zweigeschlechtlichkeit.

Wohl um ihre Erzählung authentischer zu gestalten, aber auch um eine weitere Perspektive auf den Krieg der Geschlechter einbauen zu können, arrangiert Lessing um ihren Mythos herum einen pensionierten Senator des römischen Reichs, der nun als Geschichtsforscher aus alten Quellen die Geschichte der „Spalten“ rekonstruiert und zwischendurch ein wenig über seine zweite Ehe nachdenkt.

Leider ist Lessing der Aufgabe nicht gewachsen, den mündlich überlieferten Schöpfungsmythos eines längst verschwundenen Volkes durch die Stimme eines römischen Historikers zu liefern. Der alte Römer ist nicht viel mehr als ein müdes Stereotyp direkt aus den verstaubteren Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts, und seine Berichte aus der Vorzeit sind ein merkwürdiges Amalgam aus unkonkreter Nebelhaftigkeit („wir reden hier über Ereignisse, die so lange zurückliegen, dass niemand kann sagen, wie lange“) und nebensächlichen Details, die für eine solche Überlieferung unwahrscheinlich wirken.

Es ist anzunehmen, dass Lessing versucht hat, einen mündlich bestimmten Ton zu evozieren, doch das Ergebnis ist kindisches Geplapper, mehr Schulaufsatz als oral history. Als es einmal zu einer großen Diskussion um den Schutz der Kinder kommen soll, lassen die Männer lieber flache Steine über das Wasser hüpfen: „,Was macht ihr da?’, fragten die Frauen, und die Männer sagten: ,So gute Bedingungen hatten wir noch nie’, und ,Wenn ihr nichts dagegen habt, nutzen wir das jetzt aus’.“ Glaubt die Autorin, dass eine Geschichte, die über unzählige Generationen mündlich überliefert wurde, solche Sätze enthält?

Keinen Trost bringt es, wenn man dem Ideengehalt des Buches zuwendet. Die Kernaussagen des Romans lassen sich so zusammenfassen: Frauen sind von sich aus antriebsschwach, frei von Neugierde und Interesse, mehr vegetativ als intelligibel. Sie sind passiv, duldend, ihre höchste Form von Aktivität ist das Jammern und das Nörgeln. Männer dagegen können zwar auch nicht weiter denken als bis zur unmittelbar nächsten Bedürfnisbefriedigung, aber sie sind zumindest drängend, initiativ, erforschend.

Auch wenn es im kurzen Vorwort heißt, Männer seien vermutlich nur „eine Art nachträglicher kosmischer Einfall“, wird im Laufe der Lektüre deutlich, dass es Bewusstsein und Individualität, Fortschritt und Zivilisation ohne Männer nie gegeben hätte. Allein würden die Frauen noch immer faul und stumpf auf ihren Felsen an der Küste herumliegen. Aber dann würden sie zumindest auch keine Romane über das eigene Geschlecht schreiben.

Doris Lessing: Die Kluft. Roman. Aus dem Englischen von Barbara Christ. Hamburg, Hoffmann und Campe 2007. 239 S., 19,95 €

Sebastian Domsch

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