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Literatur: Trinken und sparen

Auftakt in Frankfurt: Die Branche tritt kürzer, und die Buchmesse beginnt jetzt schon früher

Seitdem es den Deutschen Buchpreis gibt, ist der Literaturbetrieb aus dem Buchmessenzeittakt geraten. Bis vor drei Jahren galt der Gongschlag des Börsenvereinsvorstehers bei der dienstäglichen Eröffnungszeremonie im Kongresszentrum als offizieller Messebeginn, während der am späten Abend folgende Empfang des Berlin Verlags so etwas wie der inoffizielle Auftakt war, der die Buchmessenparty einleitete. Nun aber steht so mancher Literaturbetriebler schon am Montagabend im Keller des Frankfurter Römer herum und trinkt so viel Bier oder Rotwein und diskutiert so intensiv die Buchpreisverleihung an Julia Franck oder die Frage, ob man nun Krawatte zum Anzug tragen soll oder nicht, dass einen das typische Buchmessengefühl weit vor dem offiziellen Gongschlag ereilt: verkatert, aber euphorisiert, inspiriert, aber immer erfüllt von der Ahnung, viel zu viel geredet zu haben; und zwar auch Dinge, die man besser nicht erzählt hätte.

Da fällt der Besuch der Eröffnungsveranstaltung schwer, zumal sie in diesem Jahr eine der zwar besser besuchten, aber schlechteren, müderen ihrer Art war. Finanzminister Peer Steinbrück strahlte eine ganz eigentümliche Wurstigkeit aus. Statt erfrischend von außen und ohne weihevolle Kulturstaatsministerattitüde auf die Buchbranche zu blicken, zielte er lieber mit Politikbetriebsbashing peinlich auf den Applaus des Publikums, stolperte über den Namen Eric Hobsbawm, den ihm sein Redenschreiber verordnet hatte, und kam neben ein paar Erörterungen über den Stand der Bildung und Bildungschancen für jüngere Generationen nicht ohne Floskeln aus: „Für mich stellen die Bücher gerade in der Hektik des politischen Alltags eine ideale Möglichkeit dar, durch Spannung zu entspannen, abschalten zu können und dabei meinen Horizont zu erweitern.“

Genau auf solche Reden hatte es der katalanische Schriftsteller und Gastredner Quim Monzó abgesehen, als er seine Parodie auf Buchmesseneröffnungsreden hielt. Die war frisch vorgetragen, gleichzeitig aber bewusst flach und nichtssagend gehalten: „Wenn die Rede Teil des Rituals ist und das wirklich Wichtige, wie bei jedem Ritual, die Form, das Protokoll, das Jackett, die Krawatte (oder die Abwesenheit der Krawatte), ist es dann nicht unwichtig, was eigentlich gesagt wird?“ Beim Empfang des Berlin Verlags sind solche Fragen obsolet. Da wird enorm viel geredet von enorm vielen Leuten, und da stellt man sich eher die Frage, ob es auf dieser Messe echte Knüller gibt und ob ein Gespräch zwischen Martin Walser und Thomas Gottschalk so ein Knüller sein könnte. Oder man erfährt, wie gut einer der literarischen Verlage des Random- House-Imperiums, der Knaus Verlag, von den ersten beiden Romanen von Pascal Mercier lebt. Und dass Walter Kempowski den Knaus Verlag noch kurz vor seinem Tod beauftragt hat, eine Trauerfeier in Rostock zu organisieren, inklusive genauester Instruktionen.

Diskutiert wird auch, warum – trotz ordentlicher Branchenumsatzzahlen – die Verlage nicht mehr ihr Leid klagen, sondern still sparen. Diogenes hat seinen Empfang einfach so abgesagt, Kiwi lud nicht, wie in den Vorjahren, zum großen Berlin-Fest im Vorfeld der Messe, die Eichborn- und Droemer-Partys im Südbahnhof fallen wegen Auflagen der Feuerpolizei aus, mehr als 400 Leute dürfen nicht mehr rein. Und beim Berlin Verlag gibt es an diesem Abend nicht nur eine streng kontrollierte Gästeliste, was ungewöhnlich ist, sondern um Punkt ein Uhr nichts mehr zu trinken, was noch ungewöhnlicher ist. Die Buchmessenrituale sind eben auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Gerrit Bartels

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