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Literatur: Triumphbögen des Todes

Das Pariser Manuskript von Peter Weiss

Von Gregor Dotzauer

Eine Drohung. Eine Festung. Eine Stadt namens Paris. „Die Tuilerien und die Champs-Elysées, die sind wie Bebauungen im Hades, die Triumphbögen sind Triumphbögen des Todes, und vergeblich bemühen sich alle Wasserkünste, die Leere zu verbergen.“ Und ein Mann, der sich in vielen Gestalten durch diesen „riesigen Leib ohne Herz“ bewegt: als der „Reisende“, der „Erwachende“, der „Geschlagene“, der „Gefallene“, der „Samariter“, der „Kentaur“.

Peter Weiss’ Pariser Manuskript vom November/Dezember 1950, in der Sprache seines schwedischen Exils mit 34 Jahren verfasst und nun zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlicht, ist das Dokument einer umfassenden Entfremdung. Weiss „suchte Zugang zu einem Ich, das in sich alles umfassen konnte, er wollte diesen Figuren, die im Schauspiel über seine Zersplitterung agierten, entkommen“ und verirrte sich nur noch tiefer zwischen Innen und Außen. Seine anhaltende Ablehnung als Schriftsteller, der bevorstehende Bruch mit seiner Lebensgefährtin Le Klint, nachdem bereits zwei Ehen gescheitert waren, und das Gefühl künstlerischer Unfruchtbarkeit überlagern sich in einer multiperspektivischen Erzählung, die den Verlust des lebendigen Eros in Szenen sexueller Kälte übersetzt.

Die brutale Genauigkeit, mit der Weiss schildert, wie sein multipler Protagonist in einem Stundenhotel eine Prostituierte malträtiert, über zerrissenen Tausendfrancscheinen masturbiert oder unerlöst zwischen Impotenz und Wollust pendelt, hat, unspekulativ, wie sie auftritt, nichts von ihrer Radikalität verloren.

Klimatisch – was einige sexuelle Motive betrifft auch thematisch – weist das Pariser Manuskript vor allem auf die autobiografische Erzählung „Abschied von den Eltern“ (1961) voraus, die nach dem „Schatten des Körpers des Kutschers“ Weiss’ Durchbruch besiegelte. Gegenüber dem bis zum hypotaktischen Labyrinth Ausgefeilten dieser frühen Meisterwerke ist es noch skizzenhaft, doch zugleich von einer rauschhaften Unmittelbarkeit, die es weit hinaushebt über eine philologische Trouvaille. Auch von ihr aus kann man Weiss kennenlernen: Axel Schmolke, dessen Kommentar und Nachwort fast die Hälfte des Bandes einnehmen, hat den Text, die dazugehörigen Traumprotokolle mustergültig ediert und ins Gesamtwerk eingeordnet. Gregor Dotzauer

Peter Weiss: „Füreinander sind wir Chiffren“. Das Pariser Manuskript. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Axel Schmolke. Rotbuch Verlag, Berlin 2008. 192 Seiten, 19,90 €.

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