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Literatur: Ulanenfantasie Steffen Möller über

seine Wahlheimat Polen

Ein Erklärbuch über Polen aus der Sicht eines Gastarbeiters. Der in Warschau lebende Kabarettist Steffen Möller erzählt in „Viva Polonia“, warum es sich in seiner Wahlheimat aushalten lässt. Alphabetisch geordnet, gibt er Auskunft über „Anarchie“, „Polenwitze“ und scheinbar Abwegiges wie die „Ulanenfantasie“ und ist literarisch durch ein Gemenge von Gebrauchsanweisungen, Anekdoten, Glossen, Witzen und Dialogen doch weit weniger geordnet.

Aus einer Laune heraus zog der in Wuppertal geborene evangelische Theologe vor 13 Jahren nach Polen. Die Selbstbezeichnung Gastarbeiter müsste man aber mindestens zu Edelgastarbeiter Möller lernte Polen nicht von unten kennen, sondern arbeitete als Gymnasiallehrer, Hochschuldozent, Kabarettist, Moderator und Schauspieler im Staatsfernsehen. Als beginnender Polen-Fan, erzählt er, sei er noch ein typischer Missionar gewesen, der sich über die deutsche Ignoranz gegenüber Polen so erregte wie die Polen selbst. Später habe er Vorurteile als Halbwissen stehen lassen können, mittlerweile erzählt er in seinem eigenen Kabarettprogramm Polenwitze vor polnischem Publikum.

Eine Qualität des Buches ist es, wie Möller den Leser an den Wandlungen seines Blicks auf das Nachbarland teilhaben lässt. Das Fremde darf auch fremd bleiben. So bekräftigt Möllers Polen-ABC auch viele Klischees: Der Straßenverkehr ist mörderisch, Polen können bis auf die eigene Hochzeit kaum organisieren, und ihr Geschichtsbild gleicht einem Hollywood-Epos voll blutiger Schlachten und hinterhältiger Intrigen.

Andere Stereotypen werden wiederum übertrieben korrigiert: Die Katholische Kirche in Polen sei anders als die deutsche frei von Komplexen, ein lockerer Gesangverein, in dem Kinder herumtollen können. So erlebt der Protestant zumindest die Kirche in seinem Wohnbezirk. Auch der Zweite Weltkrieg wird in persönlichen Erlebnissen bewältigt: der angehende Lehrer wird vom Hausmeister des Warschauer Gymnasiums gebeten, ab und zu mit ihm Deutsch zu sprechen, er habe die Sprache als Zwangsarbeiter in Bayern gelernt. Um den peinlich berührten Deutschen aufzumuntern, meint er: „Mir ging’s gut dort, in Polen wäre ich verhungert!“ Manchmal überschreitet Möller, der Eitelkeiten nicht scheut, auch gewisse Grenzen; so in der Episode, wo er als Wehrmachtssoldat verkleidet, Roman Polanskis Filmset „Der Pianist“ verlässt und per Anhalter nach Warschau fährt.

Schwächer wird das Buch, wenn die Eigenschaften des Lands westlich der Oder aufs Korn genommen werden. Dass sich deutsche Verbissenheit beim Mülltrennen manifestiert, wurde von anderen Beobachtern bereits ausgiebig aufs Korn genommen. Solche Ausführungen rühren daher, dass Möller zuerst eine schlankere Version für den polnischen Markt schrieb. Jens Mattern

Steffen Möller: Viva Polonia. Als deutscher Gastarbeiter in Polen. Scherz Verlag, Frankfurt a.M. 2008. 256 Seiten, 14,90 €.

Jens Mattern

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