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Verbrecher JAGD: Nobel über Leichen gehen

Kolja Mensing entdeckt den australischen Autor Peter Temple

Peter Temple wurde 1949 in Südafrika geboren und zog als junger Mann nach Australien. Er arbeitete als Journalist in Melbourne, bis er 1996 mit „Vergessene Schuld“ seinen ersten Kriminalroman veröffentlichte. Darin erzählt Temple eine einfache Geschichte: Der Anwalt Jack Irish erfährt, dass ein ehemaliger Klient bei einem Polizeieinsatz ums Leben gekommen ist. Er stellt Nachforschungen an und stößt auf einen politischen Skandal. Ein Konsortium aus korrupten Regierungsmitgliedern und skrupellosen Spekulanten macht Jagd auf Bauland und geht dabei über Leichen.

Es geht also um Politik, und Temple beschreibt in „Vergessene Schuld“ recht drastisch einen verhängnisvollen Paradigmenwechsel. Während in den achtziger Jahren in Melbourne die „angeberischen Arschlöcher“ und Internatszöglinge der alten Elite die Macht noch fest in den Händen halten, regiert in den Neunzigern das schmutzige Geld der Bauunternehmer und Immobilienhaie. „Zu australisch“ sei das Thema, fand Temples Verlag Random House und lehnte eine internationale Vermarktung des Debüts und der folgenden Romane ab. Es kam zum Streit, 2002 wechselte Temple zum unabhängigen Verlag Text Publishing. Nun hat Random House die Lizenz zurückgekauft und veröffentlicht die deutsche Ausgabe von „Vergessene Schuld“ zehn Jahre nach ihrem Erscheinen in Australien doch noch auf einem seiner Sublabels. (Aus dem Englischen von Sigrun Zühlke, Goldmann Verlag, München 2007, 349 S., 7,95 €.)

Wie auch immer Peter Temple nach Deutschland gekommen ist, seine Krimis gehören zum Interessantesten, was es derzeit am anderen Ende der Welt gibt. Ähnlich wie der in Deutschland bereits durchgesetzte Garry Disher zeichnet Temple das Bild einer von Kriminalität, Rassismus und politischer Verantwortungslosigkeit ausgehöhlten Gesellschaft. Seine Thriller um den grundsympathischen Jack Irish, die jetzt nach und nach übersetzt werden sollen, sind kein schlechter Einstieg in sein Werk. Dichter und kälter sind allerdings Temples Romane mit wechselnden Hauptfiguren. Dazu gehört „Shooting Star“, der gerade erst auf Deutsch erschienen ist. (Aus dem Englischen von Hans M. Herzog. C. Bertelsmann, München 2008, 287 S., 17,95 €.) Ähnlich wie „Vergessene Schuld“ führt auch dieser Roman mitten ins Betonherz der australischen Oberschicht. Anne Carson, die Enkelin eines millionenschweren Bauunternehmers, ist entführt worden. Negative Schlagzeilen passen nicht zur Firmenpolitik, also beauftragt die Familie einen „Mediator“, um den Fall diskret abzuwickeln. Frank Calder – Ex-Militär, Ex-Polizist, Ex-alles-Mögliche – soll das Lösegeld übergeben, doch darum geht es dem Entführer nicht. „Ich will dass Ihr leidet, wie ihr andere habt leiden lassen“, lässt er dem Carson-Clan mitteilen. Kurz darauf ist Anne tot. Calder sucht im Umkreis der Familie nach Motiven und wird fündig. Die „Kennedys von Australien“ haben sich ihren Weg nach oben inklusive der Mitgliedschaft im „Royal Melbourne Golf Club“ mit harten Bandagen erkämpft: Gewerkschaftler verprügelt, Staatsanwälte bedroht, vielleicht einen Mord vertuscht.

Temple schreibt in „Shooting Star“ allerdings nicht nur über moralisch degenerierte Neureiche, sondern widmet sich nebenbei auch den nicht immer rühmlichen Auslandseinsätzen des australischen Militärs. In scharfkantigen Sätzen, die wie Granatsplitter über den Text verteilt sind, erinnert sich Calder an seine Zeit in den Special Forces und eine katastrophal gescheiterte Operation in Afghanistan. Die Last, die er sich damals im Dienste seines Vaterlandes auf seine Schultern geladen hat, versucht er jetzt abzuarbeiten, indem er sich in einem Zwei-Fronten-Krieg zwischen einem rachsüchtigen Psychopathen und einem rücksichtslosen, in Regierungskreisen verkehrenden Familienimperium aufreibt. Auf welcher Seite die größeren Verbrecher zu finden sind, weiß man nicht. Auch Frank Calder findet es nicht heraus. „Shooting Star“ endet, wie leider jeder gute politische Kriminalroman enden muss: aussichtslos.

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