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Verbrecherjagd: Wo ist mein halber Liter?

Kolja Mensing liebäugelt mit einem ordentlichen Schluck Blut. Dafür liest er Charlie Huston.

Stephenie Meyer ist einfach nicht meins, darum bin ich schließlich bei Charlie Huston gelandet. Seine Romane „Stadt aus Blut“ und „Blutrausch“ (beide aus dem Amerikanischen von Kristof Kurz, Heyne-Verlag, München, 320 Seiten, 7,95 €) sind die ersten beiden Bände einer Reihe von Horrorthrillern, die direkt in das dunkle Herz von New York führen. Hier regieren die Vampire. Mächtige Gruppen von Untoten haben Manhattan unter sich aufgeteilt und kämpfen Seite an Seite mit intriganten Politikern und korrupten Polizisten um die Kontrolle über das menschliche Blut, den wichtigsten nachwachsenden Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Joe Pitt gehört weder zur „Koalition“ noch zur „Society“ oder zur „Hood“, aber der ehemalige Punk, der nach einem reichlich unappetitlichen Zwischenfall auf der Herrentoilette des CBGBs die Welt der Normalsterblichen verlassen hat, bezahlt einen hohen Preis für seine Unabhängigkeit. Um auf halbwegs legalem Weg an seinen „halben Liter“ zu kommen, übernimmt er gelegentlich kleinere Aufträge für die Clanchefs: ein paar Zombies erledigen oder eine Bande von Dealern aufspüren, die mit einer neuen synthetischen Droge das natürliche Nahrungsmittelreservoir der Vampire kontaminiert.

Das ist auf jeden Fall sehr viel spannender als die Vampir-Romane, die zurzeit in den Bestsellerlisten zu finden sind. Charlie Huston hat das Genre aus den Highschoolfluren und Teenagerschlafzimmern endlich zurück auf die Straße geholt. Gleichzeitig liefert er dabei mit seinem leicht melancholischen Serienhelden eine trendgerechte Variante des guten alten amerikanischen Hardboiled-Schnüfflers – nur dass sich Joe Pitt am Ende eines langen Tages in seinem schattigen Apartment keinen Whisky einschenkt, sondern einen Blutbeutel aus dem Kühlschrank holt.

Huston weiß, wie man auch heute noch nach alten Regeln spielt, und wer es nicht abwarten kann, bis im Mai der nächste Joe-Pitt-Band erscheint, kann sich die Zeit mit seiner Hank-Thompson-Trilogie vertreiben, die fest in der Tradition der pulp fiction steht: „Der Prügelknabe“ (aus dem Amerikanischen von Markus Naegele, Heyne, 361 Seiten, 8 €) und zwei weitere Romane erzählen die Geschichte eines ganz normalen jungen Mannes, der zwischen die Fronten eines Bandenkrieges gerät und sich dabei jede Menge Platzwunden, Knochenbrüche und Schusswunden zuzieht: „Fünf Tage war ich im Krankenhaus, einen davon bewusstlos.“ Und das ist erst der Anfang.

Mein persönlicher Favorit aus dem Charlie-Huston-Kosmos ist allerdings „Killing Game“ (aus dem Amerikanischen von Alexander Wagner, Heyne, 380 Seiten, 7,95 €), eine fast klassische coming-of-age-Geschichte aus einer Kleinstadt in Südkalifornien. Es ist der Sommer des Jahres 1982. Iron Maiden haben gerade „Number of the Beast“ veröffentlicht, im Valley kursieren die ersten Metallica-Demos, und George, Paul und die anderen haben sich für die Ferien nichts anderes vorgenommen, als möglichst laut die richtige Musik zu hören und abends ein paar Runden Dungeons-and-Dragons zu spielen. Doch dann entdeckt die Clique in einem Abbruchhaus ein Kilo Speed, und plötzlich treten die Dämonen, die sie bisher nur von Plattencovern und aus ihren Rollenspiel-Handbüchern kennen, tatsächlich in ihr Leben.

Das Ende ist grausam, und das nicht nur, weil Huston ein Spezialist für schwere Körperverletzung ist. Der 1968 geborene Schriftsteller kennt sich auch mit anderen schmerzvollen Prozessen aus. Am Anfang besteht die Welt für George, Paul und ihre Freunde noch aus verwaschenen Led-Zeppelin-T-Shirts und schweren Gitarrenriffs, aus den neuen „Magnum“-Folgen, dem BMX-Parcours hinter dem Wohnkomplex und den Videospielen im Bowlingcenter. Am Ende des Sommers ist nichts mehr davon übrig. Die Kids sind erwachsen geworden, und man muss nicht erst den falschen Leuten ein Kilo Drogen stehlen, um zu erfahren, wie weh das tun kann.

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