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Literatur: Von Luther zu Zündel Das Handbuch des Antisemitismus, Teil II

Martin Luther gilt als Lichtgestalt der deutschen Geschichte, Wittenberg firmiert sogar als „Lutherstadt“, weil der Reformator dort 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche genagelt haben soll. Heute wäre Luther allerdings ein Fall für den Staatsanwalt.

Von Frank Jansen

Martin Luther gilt als Lichtgestalt der deutschen Geschichte, Wittenberg firmiert sogar als „Lutherstadt“, weil der Reformator dort 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche genagelt haben soll. Heute wäre Luther allerdings ein Fall für den Staatsanwalt. Seine Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ und weitere Publikationen würden vermutlich den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Ausgehend von der Behauptung, dass die Christen „nehest nach dem Teufel keinen bittern, gifftigern, hefftigern Feind“ hätten, „denn einen rechten Jüden, der mit ernst ein Jüde sein wil“, forderte Luther in seinen antisemitischen Hasstiraden die Verbrennung von Synagogen, die Zerstörung jüdischer Häuser, Zwangsarbeit und weitere Repressalien gegen Juden.

Es verwundert nicht, dass der Reformator bei Rechtsextremisten einen guten Ruf genießt. In der bürgerlichen Öffentlichkeit hingegen wird Luthers Antisemitismus eher kleinlaut abgehandelt. In der auf sieben Bände angelegten Reihe „Handbuch des Antisemitismus“, das die Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart darstellt, ist in dem nun vorliegenden zweiten Werk Martin Luthers Antisemitismus ein ausführliches Kapitel gewidmet.

Schon dieser Text lohnt beinahe die Lektüre des mehr als 900 Seiten starken Doppelbandes, in dem rund 700 Personen vorgestellt werden. Die Biographien umfassen nicht nur Judenhasser, sondern auch Opfer des Antisemitismus wie den 1922 von Mitgliedern der nationalistischen „Organisation Consul“ in Berlin ermordeten jüdischen Reichsaußenminister Walther Rathenau und den ein Jahr zuvor ebenfalls durch Attentäter der „Organisation“ in Bad Griesbach getöteten katholischen Ex-Reichsfinanzminister Matthias Erzberger – von dem rechtsextreme Fanatiker behaupteten, er sei Jude.

Der Doppelband ist eine unerschöpfliche und schon deshalb gruselig anmutende Fundgrube. 176 Autoren haben die Biographien verfasst: Da finden sich Gestalten wie Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad, der „antizionistische“ polnische KP-Chef Wladyslaw Gomulka, Filmregisseur Veit Harlan, verantwortlich für den Nazi-Hetzfilm „Jud Süß“, Adolf Hitler natürlich und zuletzt der Holocaust-Leugner Ernst Zündel, der noch bis März eine Haftstrafe in Mannheim verbüßt.

Herausgeber und Mitautor des Handbuchs ist der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Wolfgang Benz. Er muss sich seit einiger Zeit harter, oft unfair vorgetragener Kritik erwehren – wegen des Versuchs, einen Diskurs über mögliche Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamophobie anzustoßen. Benz’ Verdienste um die Erforschung von Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart scheinen da bisweilen zu verblassen. Das Handbuch des Antisemitismus ist jedoch ein weiterer, profunder Beleg für seine herausragende Stellung unter den Wissenschaftler, die sich mit Judenhass in der Gesellschaft, nicht nur an ihren Rändern, auseinandersetzen. Schon der erste, 2008 erschienene Band „Länder und Regionen“ beeindruckte mit der Sachkenntnis von 68 Autoren, die 85 Länder und Regionen unter die Lupe nahmen. Das gilt auch für den zweiten Teil.

Das Handbuch ist schon jetzt, bevor es auf sieben Bände angeschwollen ist, ein Standardwerk. Kleinere Schwächen sind angesichts der Umfänge vermutlich kaum zu vermeiden; so wäre es beispielsweise interessant gewesen, mehr über den polnischen Juden Herschel Grynszpan zu erfahren, der auf tragische Weise dem NS-Regime den Vorwand für die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 lieferte. Grynspzan hatte am 7. November in Paris den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath erschossen, aus Protest gegen die rüde Abschiebung seiner Familie aus Deutschland nach Polen. Im Handbuch bekommt der vermutlich 1942 von den Nazis im Zuchthaus Magdeburg ermordete Grynszpan nur zwölf Zeilen.

Doch die Leistung, einen solchen Doppelband auf die Beine gestellt zu haben, ist fast historisch zu nennen. Zumal die Biographien gut lesbar sind und damit nicht nur einem akademischen Fachpublikum vorbehalten bleiben sollten.

Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2: Personen. De Gruyter Saur, Berlin 2009. 934 Seiten, 159,95 Euro.

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