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Don Quijote: Wind auf seine Mühlen

Ritter der Gegenwart: Susanne Lange hat Cervantes’ „Don Quijote“ frisch übersetzt.

Die armen Spanier. Platzen vor Stolz, dass in ihrer Sprache der erste Roman der modernen Literatur geschrieben wurde, die Mutter aller Herr-und-Diener-Erzählungen, eine der europäischen Urgeschichten von der Selbstbehauptung des Ich und von den Zweifeln dieses Ich an seiner Rolle in der Welt – aber der Text selbst wird ihnen immer fremder. 400 Jahre alt ist das Buch inzwischen, und je mehr die Philologie die authentische barocke Textgestalt sichert, desto mehr stöhnen gerade jüngere Leser unter der Distanz, die die beinahe heiligen Sätze ihres Meisters Miguel de Cervantes erzeugen. Wer kein Philologe ist, braucht zum Verständnis des spanischen Originals viele Anmerkungen.

Wie glücklich hingegen wir Deutschen: Nach einigen unvollständigen Vorläufern bekamen wir Anfang des 19. Jahrhunderts einen großartigen ersten vollständigen Quijote durch Ludwig Tieck, der dank seiner Wurzeln im Sprachklang der Romantik bis heute gern gelesen wird. Ebenfalls gehalten hat sich, in diversen Bearbeitungen, die sachlichere Version Ludwig Braunfels’ von 1883, die philologisch oft korrekter ist als Tieck, aber auch weniger riskiert. Nicht durchsetzen konnte sich Anton M. Rothbauer, der in den sechziger Jahren gleich sämtliche Werke Cervantes’ neu übersetzte. Nun, gut 40 Jahre später, legt Susanne Lange, eine mehrfach preisgekrönte und in ihrer Generation herausragende Übersetzerin, ihren Don Quijote vor.

Lesen wir also die Geschichte vom „geistvollen Hidalgo Don Quijote von der Mancha“, die bisher die „des scharfsinnigen Edlen“ (Tieck) beziehungsweise die vom „sinnreichen Junker“ (Braunfels) hieß. Die neue Benennung lässt sich semantisch gut begründen, und Lange tut es in ihrem ausführlichen Nachwort: So fasse der Begriff „geistreich“ besser als die früheren das Fantasievoll- Schöpferische der Figur. Außerdem, „Junker“ klingt uns heute doch sehr „ostelbisch“, und eine deutsche Sprache, die sich in kürzester Zeit Movida, Fiesta und Finca einverleibt hat, wird auch den „Hidalgo“ bald als Synonym für den niederen Landadligen akzeptieren. Es sei einer Übersetzerin, die fünf Arbeitsjahre in eine „unendliche Aufgabe“ (A. W. Schlegel) gesteckt hat, zugestanden, dem Buch für unsere Zeit ihren Namen zu geben.

Solche im Kern lexikalischen Fragen sind die eine Seite der Bewertung dieser Neuübersetzung, und man kann sich leicht spreizen über der Frage, ob Wörter wie „Tartsche“ (für Don Quijotes „Schild“) oder „Morion“ (für seinen speziellen Helm) in eine Übersetzung des Jahres 2008 passen. Bei Lange tun sie das, weil sie der historischen Distanz des Spanischen, vereinfacht gesagt, mit einer Doppelstrategie zu Leibe rückt.

Lexikalisch versorgt sie sich gern aus älteren Sprachschichten; verständlich werden diese fremd klingenden Worte meist aus dem Kontext. Syntaktisch aber ist die Übersetzerin um Straffung und logische Nachvollziehbarkeit bemüht, woran es bei ihren Vorgängern gerne hakelt. Heute krude klingende Satz ungetüme des 19. Jahrhunderts sind bei Lange, äquivalent zum Original, rhythmisch klare Perioden geworden, ihr Satzbau ist variantenreich, elastisch und immer darauf konzentriert, den semantischen Fokus im Deutschen auch dorthin zu lenken, wo er für den Leser sein soll. Zwei Ziele setzt sich Susanne Lange: den Witz des Romans besser kenntlich zu machen und seine sprachliche Vielschichtigkeit. Schließlich ist der Quijote vor allem ein Bücher-Buch, ständig wird in ihm gelesen und vorgelesen, wird Gelesenes zitiert und kommentiert, parodiert und variiert. Worauf sich die Figuren dabei jeweils beziehen (auf ältere Ritter romane, volkstümliche Romanzen etc.), das erkennen heute nur noch Spezialisten, was aber der Leser merken muss, um diese Art Sprachspielerei goutieren zu können, ist der Wechsel in Wortwahl und Tonlage.

Das betrifft auch die sprachliche Kontrastierung der beiden Hauptfiguren Don Quijote und Sancho Panza, die sich im Verlauf ihrer langen Reisen die Phrasen ablauschen, sich mal sprachlich einander anpassen, mal auf individueller Eigenart bestehen. Hier wie bei der Variation der Stilebenen für eingeblendete Schäferdichtungen, abenteuerliche Liebeserzählungen oder Novellen im seinerzeit hochmodernen italienischen Stil beweist Lange, wie wandlungfähig ihre Sprache ist.

Dafür kann man hier keine Beispiele geben (die Zitate würden Spalten füllen), wohl aber für den Sprachwitz im Kleinen. Etwa in der Beschreibung von des Ritters klapprigem Gaul, der als Rocinante berühmt werden wird und dessen räudiges Fell Cervantes doppelsinnig mit „cuartos“ vergleicht, was „Ausschlag“ meint oder eine kleine Geldmünze. Bei Lange liest sich das so: „Dann sah er sich seinen Klepper an, und obwohl der mehr Aussatz als Einsatz zeigte …“ Ein einfacher kurzer Satz für eine im spanischen sachlich-knappe Beschreibung, bei dem allein im ähnlichen Klang der Witz liegt.

Tieck kommt mit einer guten Idee für den Witz, aber arg umständlich daher („Sogleich ging er seine Klepper zu besuchen, ob dieser nun gleich mehr Dreiecke am Körper hatte, als ein Taler Dreier hat …“), während Braunfels’ lange Satz periode auf den eigentlichen Wortwitz verzichtet („Jetzt ging er, alsbald nach seinem Gaule zu sehen, und obschon dieser an den Hufen mehr Steingallen hatte als ein Groschen Pfennige …“).

Außerdem versucht Lange, wo immer möglich, Doppeldeutigkeiten zu nutzen, die sich im Deutschen bieten, als Kompensation dafür, dass sie sie nicht jedes Mal dort nachbilden kann, wo sie im Spanischen auftauchen. Wenn also Don Quijote eine Schänke erreicht und ihn dort am Eingang zwei Frauen erwarten, die er natürlich nicht als Prostituierte erkennt, sondern als Hofdamen umdeutet, heißen diese „mujeres mozas, destas que llaman del partido“ – bei Tieck wie bei Braunfels schlicht „junge Mädchen“ beziehungsweise „junge Frauenzimmer“ – nunmehr „lustige Mädchen von denen, die man Lustmädchen nennt“.

Oder sie nennt Don Quijote, wirr geworden über seinen Lektüren, „den erlesensten Ritter“. Kleinigkeiten, aber in der Summe machen sie diese Neuübersetzung, wie schon Cervantes’ Original, zu einer Schatzkiste des kreativen Sprachspiels. Dass allein die Geschichte von Don Quijote furchtbar spannend und anregend ist, muss hier ja nicht noch einmal gesagt werden.

Miguel de Cervantes: Don Quijote von der Mancha. Herausgegeben und neu übersetzt von Susanne Lange. Zwei Bände. Hanser, München 2008. 1487 S., 68 €.

Albrecht Buschmann

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