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Wirtschaftsanalysen: Krisen sind menschlich

Wenn Gier Vernunft besiegt: Ein US-Nobelpreisträger und ein deutscher Publizist machen sich Gedanken zu den Ursachen des Crashs.

Wenn man beim Internetbuchhändler Amazon ein Buch bestellt, bekommt man ein paar weitere Titel als zusätzliche Lektüre empfohlen: „Kunden, die sich für dieses Buch entschieden haben, haben auch diesen Titel angesehen.“ Eine solche Empfehlung lässt sich ohne Probleme auch zur Lektüre zum Thema Weltwirtschaftskrise formulieren: Einige der vielen tausend Leser, die Paul Krugmans „Die neue Weltwirtschaftskrise“ gelesen haben, haben sich auch für Rainer Hanks „Der amerikanische Virus. Wie verhindern wir den nächsten Crash“ interessiert. Zu Recht. Beide Bücher zur Krise sind zwar schon vor ein paar Wochen erschienen, aber das macht in beiden Fällen nichts aus. Denn erstens ist immer noch Weltwirtschaftskrise und zweitens liegt der Wert beider Titel darin, dass sie über die aktuellen Erklärungsmuster hinausgehen. Gemeinsam haben sie zwar kaum etwas. Aber wenn man sich angesichts der inzwischen ziemlich unübersichtlichen Krisenliteratur orientieren will, ist man mit den beiden gut sortiert. Das Werk des internationalen Starökonomen Krugman, weil man es gelesen haben muss und weil es immer schön ist, die ein oder andere kritische Anmerkung zur Krise auf Lager zu haben. Und das Buch von Rainer Hank, weil da aus deutscher Perspektive prima zusammengefasst ist, wie es zum Desaster kommen konnte – und warum der Mensch offenbar immer wieder Krisen braucht.

Das Buch des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman stammt in seiner Erstfassung aus dem Jahr 1999. Krugman hat es im vergangenen Jahr mit ungeheurer Energie renoviert. Es war die Wut gegen die Politik George W. Bushs, die ihn befeuert hat. Es war der späte Triumph des Keynesianers Krugman gegen die Neoklassiker in der Nationalökonomie, der im Herbst des vergangenen Jahres sogar mit dem Nobelpreis gekrönt wurde. Und es war das Bewusstsein, dass endlich einmal etwas in der Weltwirtschaft passiert, das den Namen Katastrophe verdient – die Krugman seit Jahrzehnten hat heraufziehen sehen. Krugman erklärt die große Krise anhand der vielen Krisen, die vorhergingen: die Krisen Lateinamerikas, der Zusammenbruch der japanischen Wirtschaft in den neunziger Jahren, die Asienkrise. Und er erklärt sie anhand des Versagens der herrschenden Lehre der Nationalökonomie. Die konservativen Ratgeber hätten es aus schierer Ideologie versäumt, die Wirtschaft anzukurbeln, wo man hätte aufs Gaspedal treten müssen. Das nimmt gelegentlich ein bisschen merkwürdige und schrullige Züge an. Denn die Fehler der anderen sind schnell benannt, die eigenen dagegen werden unter den Teppich gekehrt: Bei Krugmans Urteil über die Zinspolitik hätte man sich schon ein paar Sätze zur amerikanischen Notenbankpolitik und zur Haltung des Autors gewünscht. Galt Paul Krugman doch als einer der beredtesten Vertreter einer Niedrigszinspolitik in den Jahren vor der Krise, so rechnet er nun harsch mit dem früheren amerikanischen Notenbankchef Alan Greenspan ab. Der habe zugelassen, dass Spekulationsblasen entstanden, ohne zinspolitisch rechtzeitig gegenzusteuern. Ohne weitere Erläuterung, wann aus der richtigen Politik eine falsche wurde – oder ob die doch so richtige Politik vielleicht so richtig nicht war. In unserer Welt, schreibt Krugman abschließend, „betraf die eigentliche Knappheit (…) nicht die Ressourcen oder gar die Tugend, sondern die Erkenntnis“. Das ist überraschend, denn eigentlich findet Krugman, dass die Erkenntnis natürlich längst vorhanden war. Es gab nur eine breit angelegte Verschwörung gegen sie. Was dann im Kern doch auf einen Mangel an Tugend hinaus liefe.

Wer übrigens denkt, dass die einleitenden Sätze zur deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik überholt seien, täuscht sich ebenfalls. Krugman fordert zwar die Zustimmung Deutschlands zu einem groß angelegten Konjunkturprogramm – eine politische Aufgabe, der sich auch Deutschland im Januar dieses Jahres nach längerem Zögern doch noch gestellt hat – aber wer Krugmans Kolumne in der „New York Times“ verfolgt, weiß, dass dem Ökonomen zufolge noch lange nicht genug getan worden ist, was die konjunkturelle Stimulierung der Weltwirtschaft angeht. Das gilt selbstredend auch für Deutschland.

Rainer Hanks Buch über den amerikanischen Virus kommt ohne dieses Temperament und (natürlich) auch ohne das krachende Selbstbewusstsein Krugmans aus. Hank ist kein Ökonom, und er will auch keinen Nobelpreis für das Buch. Zudem hat der Neoliberale einigen Grund, Irrtümer über das Funktionieren von Märkten einzuräumen. Und doch sind seine Überlegungen mit die am besten formulierten Gedanken eines deutschen Autors zur Wirtschafts- und Finanzkrise. Auch Hank leitet die Ursprünge der Weltwirtschaftskrise aus einem anhaltend zu niedrigen Zinsniveau und mangelhafter Regulierung her. Der amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan habe nach den Terroranschlägen des 11. September nicht gewagt, die Zinsen anzuheben, obwohl längst erkennbar war, dass eine Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt entsteht. Dass eine Krise auf dem amerikanischen Häusermarkt die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs bringen würde, sei aber niemandem bewusst gewesen. Die fehlende Transparenz und mangelhafte Regulierung der Märkte hätten zuerst dafür gesorgt, dass die Anleger jedes Produkt für vertrauenswürdig gehalten hätten. Nach dem Knall , dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008, habe man dann niemandem mehr vertraut.

Hank überschreitet die Grenzen, die ein reines Wirtschaftsbuch gesetzt hätte. Er vertieft sich nicht in die konjunkturpolitischen Feinheiten und lässt auch eine allzu ausführliche Erörterung der Konsequenzen der Krise für die Globalisierung, das Wachstum oder die öffentlichen Haushalte aus. Dafür erklärt er, wann und warum Menschen gierig werden. Er argumentiert, warum Spekulation eine gute Sache sein kann und wo sie beginnt zu schaden. Und er schreibt, dass die Krise erst dann vorbei ist, wenn wieder Vertrauen herrscht. Der Wirtschaftsressortleiter der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (der davor beim „Tagesspiegel“ war) erklärt die Krise, indem er nicht nur die weltwirtschaftlichen Bedingungen dafür analysiert, sondern sie auch auf menschliche Verhaltensmuster zurückführt. Nebenbei kassiert er auch die Eingangsfrage des Titels „Wie verhindern wir den nächsten Crash“ elegant wieder ein. Denn es wird klar, dass das gar nicht geht. Krisen sind menschlich. Weil der Mensch eben nicht immer ein Homo oeconomicus ist, also einer, der ausschließlich rational entscheidet, wird es immer wieder Krisen geben. Es wird immer wieder Spekulanten geben und Situationen, in denen die Gier die Vernunft besiegt. Weil die Menschen sich am Ende doch zu oft von nichtrationalen Reaktionen steuern lassen, erwarten sie zu viel vom Markt. Sie glauben zu gern, dass sie einfach schlauer sind als die anderen, wenn sie ihr Geld zu versprochenen zehn Prozent Rendite anlegen – obwohl sie wissen müssten, dass ein solcher Profit nur zu einem vergleichsweise sehr hohen Risiko möglich ist. Sie verkaufen ihre Aktien zu spät, weil sie sich ihre Verluste nicht eingestehen wollen.

Bei den neuen Popstars der Volkswirtschaft, den Verhaltensökonomen (die ebenfalls mit Nobelpreisen gesegnet werden), lässt sich gut verschnaufen: Fernab der Grabenkriege zwischen den modernen Keynesianern und den neuen Neoklassikern verständigt man sich gern darauf, dass der Grund des Übels im Menschen selbst, oder noch besser, in den „animal spirits“ liegt, die ihn immer noch übermannen. Da treffen sich Krugman und Hank am Ende doch noch.

– Rainer Hank: Der amerikanische Virus. Wie verhindern wir den nächsten Crash. Karl Blessing Verlag, München 2009. 239 Seiten, 16,95 Euro.

– Paul Krugman: Die neue Weltwirtschaftskrise. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2009. 248 Seiten, 24,90 Euro.

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