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Zeit SCHRIFTEN: Der Tyrann muss sterben

In moralischen Grundsatzfragen ist das kalte Schwert der Vernunft oft eine zweischneidige Angelegenheit. Schon als Instrument der reinen Abstraktion weigert es sich gerne, das Richtige eindeutig vom Falschen zu trennen.

Von Gregor Dotzauer

In moralischen Grundsatzfragen ist das kalte Schwert der Vernunft oft eine zweischneidige Angelegenheit. Schon als Instrument der reinen Abstraktion weigert es sich gerne, das Richtige eindeutig vom Falschen zu trennen. Je mehr konkrete historische und persönliche Aspekte aber in ein Urteil einfließen, desto fataler lässt es manches Dilemma erscheinen. Zum Beispiel den Tyrannenmord, dem das neue Heft von „Sinn und Form“ (Januar/Februar 2010, 9 Euro, www.sinn-und-form.de) einen Schwerpunkt widmet. Der Blick zurück zu Stauffenbergs Attentat auf Hitler und die Morde der dänischen Widerstandsbewegung an Spitzeln im Dienst der Gestapo und der heimischen Polizei führt dabei durchaus in die Gegenwart.

Offenbar geraten wir erst heute, über ein halbes Jahrhundert später, in die Lage, das Geschehene angemessen einzuschätzen. Unabhängig von der Not, in einer gegebenen Situation zu handeln, spiegelt sich darin auch einiges von den Debatten um die mögliche Beseitigung von Slobodan Milosevic oder den Wunsch nach einem „one-way-ticket“ für Saddam Hussein, den George W. Bushs Sprecher Ari Fleischer 2002 damit begründete, dass eine gezielte Kugel wesentlich billiger sei als ein Krieg – beides Fälle, in denen es sich freilich um Tyrannenmorde von außen gehandelt hätte.

Über die Legitimität von Claus Schenk Graf von Stauffenbergs Ziel, Hitlers Terrorregime und die Gräuel des Krieges zu beenden, herrscht heute Einigkeit. Über die Werte, denen dieser Entschluss entsprang, fängt man jedoch erst an, sich zu verständigen. Man kann, wie der amerikanische Germanist Robert Norton schrieb, nämlich keineswegs sicher sein, ob Stauffenberg, der sich mit 15 Jahren in den Erwähltheitszirkel des 1933 gestorbenen Dichterpropheten Stefan George begab, durchschaute, „dass die Ideale und der Mann, der sie predigte, dazu beigetragen hatten, denjenigen hervorzubringen, den er vernichten wollte.“

Ein Essay des George-Biografen Thomas Karlauf versucht, diese Konstellation unter anderem mit einer brieflichen Äußerung von George selbst zu entschärfen: „Die gesetze des geistigen und des politischen sind gewiss sehr verschieden – wo sie sich treffen und wo geist herabsteigt zum allgemeingut das ist ein äusserst verwickelter Vorgang.“

Worüber also urteilt man bei Stauffenberg: über das unzweifelhaft Gute seines Attentatsversuchs oder über dessen weitaus zweifelhafteren Ursprung? Die Frage lässt sich auch umgekehrt stellen, wenn man den sokratischen Dialog des dänischen Schriftstellers Martin A. Hansen über „Tötung und Verantwortung“ aus dem Jahr 1944 und dessen historische Einbettung in Joachim Lunds Aufsatz „Den Feind bekämpft man nicht mit Vaterlandsliebe“ hinzuzieht: Worüber urteilt man bei den dänischen Spitzelmorden, in deren Verlauf zwischen 1940 und 1945 rund 400 Menschen von der Widerstandsbewegung liquidiert wurden? Über ihre philosophisch brillante Legitimation, die kein Argument gegen die Selbstermächtigung zum Hinrichten ohne Rechtsgrundlage auslässt, oder über den Gratisjagdschein, den sie auch privaten Racheengeln und gewöhnlichen Kriminellen ausstellte?

Nur ein gutes Siebtel der Ermordeten soll sich, so Lund, tatsächlich durch Denunziantentum schuldig gemacht haben – der Rest waren prophylaktische Tötungen und Willkür. „Man machte“, wie sich der Spitzelmörder Gunnar Dyrberg in den achtziger Jahren erinnerte, „keine Unterschiede, wie stets im Krieg. Der Mensch als solcher existiert nicht, nur das Resultat seiner Handlungen. Gut oder böse – das ist gleichgültig, nur der Finger am Abzug zählt.“

Selbst die Widerständler reinsten Gewissens, erklärt Lund, hatten nach dem Krieg aber mit schweren Traumata zu kämpfen. Alle Gelegenheiten, sich in einem nachträglichen Gerichtsprozess auf Notwehr zu berufen und dadurch zu entlasten, verstrichen. Viele versanken in Depressionen oder brachten sich um. Auch Martin A. Hansen haderte mit seiner Verantwortung. In seiner letzten Erzählung klagt ein Liquidatorengespenst den Protagonisten an: „Ich bin voll schuldig, weil ich getötet habe. Und du bist voll schuldig, weil du die Verantwortung für das Töten geschrieben hast.“

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