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Zeit SCHRIFTEN: Kommissar Computer

Gregor Dotzauer folgt den Forensikern von „CSI“ ins Labor

Von Gregor Dotzauer

Als Erik Ode alias „Der Kommissar“ 1969 für das ZDF zum ersten Mal in München ermittelte, war der väterlich-strenge Blick, mit dem er Bardamen, schwere Jungs und missratene Söhne musterte, in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit fast schon überholt. 150 Kilometer weiter, in Nürnberg, träumte der dortige Polizeipräsident längst von fortschrittlicheren Methoden. Wenn es auch noch einige Zeit brauchte, bis er mit der Rasterfahndung Furore machte, so war es doch seine persönliche, wissenschaftlich fundierte Vision, die dem Bild der polizeilichen Ermittlung den Takt vorgab.

Horst Herold, 1971 zum Präsidenten des Bundeskriminalamts berufen, hatte schon 1966 in einem Vortrag über „Organisatorische Gründzüge der elektronischen Datenverarbeitung bei der Polizei“ eine Chance gesehen, „die Grenzen der Einsicht in das Wesen des Verbrechens aufzuheben, die das Unvermögen zur Verarbeitung der vorhandenen Daten bisher gezogen hatte“. Die „intuitiv betriebene Verbrechensverhütung und -bekämpfung“, so hoffte er, werde sich so „in eine rationale wandeln“.

Und heute? Heute, könnte man behaupten, gibt umgekehrt die Fiktion der Wirklichkeit den Takt vor. Mit „CSI Las Vegas“, „CSI Miami“, „CSI New York“ und den deutschen Spinoffs ist diese „technowissenschaftliche Inszenierung effizienter Detektivarbeit“, wie David Gugerli in „Nach Feierabend – Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte 3“ zum Thema „Daten“ schreibt (Diaphanes, Berlin/Zürich 2007, 229 Seiten, 25 €), „zur verbindlichen Norm der Kulturindustrie geworden“. Inspektor Columbo jedenfalls, der „Tiefenhermeneutiker und Psychologe in Personalunion“, ist in den Augen des eidgenössischen Technikhistorikers abgelöst worden „durch ein Team von wissenschaftlichen Experten, das arbeitsteilig und systematisch vorgeht, eine Plethora von Daten unterschiedlicher Qualität zu isolieren weiß und diese in provisorischen, aber immer definitiver werdenden Simulationen rekombiniert“.

Der Clou besteht nun darin, dass Gugerli daraus einen allgemeinen Wandel unserer Verstehenshorizonte abzuleiten versucht. In der „Crime Scene Investigation“ sieht er die Erfüllung dessen, was Umberto Eco in „Das offene Kunstwerk“ für die Unausschöpfbarkeit jedes semiotischen Gewebes behauptete, was Roland Barthes in seiner Balzac-Lektüre „S/Z“ unter der Vervielfältigung des Sinns verstand oder was Michel Foucault beschäftigte: „Es gibt keine grundlegenden Phänomene. Es gibt nur Wechselbeziehungen und ständige Verschiebungen zwischen ihnen.“ Und er verknüpft das alles mit dem Kampf von Edgar F. Codd, die relationale Datenbank bei IBM durchzusetzen: Der Konzern hatte Codds Ideen, die heute einen Standard definieren, lange übergangen.

Durchgesetzt haben sie sich eben auch in der fiktionalen „signifying practice“, behauptet Gugerli: „Metaphorisch gesprochen wird in ,CSI‘ die Welt als Datenbank inszeniert, deren Einträge es aufzuspüren und zu kombinieren gilt, um so die alles entscheidenden Einsichten in die Verhältnisse zu gewinnen.“ Diese Zusammenschau von Medientheorie, Technikgeschichte und Ästhetik hat etwas Verführerisches und bricht doch da auseinander, wo sie ignoriert, dass die Forensiker von „CSI“, so wenig sie an Tatmotiven, sozialen Rahmenbedingungen oder gar metaphysischen Fragen über das Böse interessiert sein mögen, sich nicht einfach Interpretationen zurechtbasteln, sondern handfeste Beweise zusammentragen: Am Ende muss ein Täter her.

Die Anmutung ist also vielleicht postmodern, die Basis aber bildet der gute alte Positivismus. Es ging schon immer darum, wie Horst Herold in einem ausführlichen Gespräch mit Gugerli erklärt, „das Strafverfahren in jederzeit nachprüfbarer Weise zu objektivieren und von subjektiven Fehlleistungen zu befreien“. Das Verdienst dieses Jahrbuchs ist es dennoch, Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften als aufeinander angewiesene Disziplinen vorzustellen. Scheinbar unschuldige Fragen wie die des Berliner Wissenschaftshistorikers Hans-Jörg Rheinberger ließen sich sonst kaum beantworten: „Wie werden aus Spuren Daten, und wie verhalten sich Daten zu Fakten?“

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