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Zeit SCHRIFTEN: Leviathan und Behemoth

Gregor Dotzauer über den Kampf zweier berühmter Ungeheuer: Leviathan und Behemoth

Von Gregor Dotzauer

Der Leviathan, wie Thomas Hobbes ihn zum Inbild eines allmächtigen Staats erhob, ist in unseren Breiten schon lange ein müdes Kuscheltier. Manchmal, wenn Wolfgang Schäuble von Bundestrojanern und schranken losen Online-Durchsuchungen träumt, fletscht das Ungeheuer noch die Zähne. Doch weder verspürt es den alten Appetit, die Barbaren zu verschlingen, die Hobbes zufolge Menschen ihrer kriegerischen Natur nach sind, noch würde es bei den braven Bürgern Westeuropas viel zu beißen finden. Man muss mindestens nach China oder Russland, wenn nicht nach Myanmar oder Nordkorea schauen, um einen Leviathan zu ent decken, der im vollen Saft steht.

Wir haben nicht nur Hobbes' absolutistische Vorstellungen hinter uns gelassen. Wir sind dabei, auch klassische demo kratische Modelle aufzugeben, wie der Warwicker Politikwissenschaftler Colin Crouch in seinem aufsehenerregenden Buch "Postdemokratie" (Aus dem Englischen von Nikolaus Gramm, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, 159 S., 10 €) erklärt. Während Politiker die Wahl ihrer Themen wie die Lösung von Problemen an PR-Strategen, Experten und Wirtschaftslobbyisten delegieren, verzichtet, vom Stimmzettelkreuz abgesehen, eine zusehends apathische Bürgerschaft auf politische Beteiligung: ein stillschweigender Gesellschaftsvertrag im beiderseitigen Vertrauen darauf, dass die "Kommerzialisierung öffentlicher Leistungen" dem Allgemeinwohl am besten dient.

Das schillernde Zauberwort, das im Schatten dieser Tendenzen Karriere gemacht hat, heißt Governance. Im Bewusstsein, dass zwischen Parlament und Privatwirtschaft viele Kräfte an der Gestaltung öffentlichen Lebens beteiligt sind, untersuchen Governance Studies die komplexen Steuerungsmechanismen politischer und ökonomischer Prozesse. Insofern hat eine "Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft", die sich durchaus auch mit diesen Entwicklungen beschäftigt und seit 1972 den Titel "Leviathan" (www.leviathan-digital.de) trägt, etwas Anachronistisches.

Ganz auf der Höhe der Zeit ist es aber, den Blick auf Behemoth, das gleichfalls alttestamentarische Monster zu richten, dem Hobbes eine andere Schrift ge widmet hat. Als höllenhafte Figur ist es seit diesem Jahr das Wappentier von "Behemoth - A Journal on Civilisation" (www.behemoth-journal.de), ein Symbol von Zerstörung und Verfall. Denn neben liberaler und autoritärer Staatlichkeit hat sich ein weites Feld von unregierbaren Strukturen und failing states aufgetan: gleich, ob man an brasilianische Favelas denkt, Clan-Auseinandersetzungen in Somalia oder die Korruption in Bulgarien.

Der Begriff Governance, erklären die Herausgeber von "Behemoth", drei Politikwissenschaftler der Universität Leipzig, von denen einer auch zum Herausgebergremium des "Leviathan" gehört, "bekommt eine neue Bedeutung. Statt die Kräfte des Chaos zu bekämpfen und zu besiegen, geht es darum, mit ihnen zu feilschen und sich zu einigen." Der Staat muss sich auf die Ebene einer NGO, einer non-governmental organization, begeben. "Die wesentliche Unterscheidung von Ordnung und Chaos oder Gesetz und Verbrechen verschwimmt Schritt für Schritt."

In diesem Zusammenhang sollen Governance Studies auch die behemothische Seite von Ordnung einschließen. Es gilt aber auch, nicht zu vergessen, dass dieser Kampf der Gegensätze sich in identischen Symbolen ausdrückt: "Recht und Chaos sind beides Ungeheuer. Woraus folgt, dass ein Rechtssystem ebenso chaotische Züge entwickeln kann, wie Chaos bei näherem Hinsehen eine ,geordnete' Struktur enthüllt."

Die soeben erschienene dritte Ausgabe "Surviving Catastrophes" untersucht das am Beispiel von Naturkatastrophen und staatlichem Krisenmanagement. Überraschend etwa der Hinweis, dass es, als der Hurricane "Katrina" 2005 New Orleans unter Wasser setzte, länger dauerte, die dortige Infrastruktur wieder in Gang zu setzen, als dies im armen, überbevölkerten Bombay der Fall war, das kurz zuvor in einem Rekordregen ertrunken war. Die angeblich desorganisierte 20-Millionen-Metropolenregion tat es, nachdem das Wasser abgelaufen war, im Handumdrehen.

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