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Der Schweizer Schriftsteller und Cesare-Pavese-Verehrer Peter Stamm.

© Verlag

Literaturbetrieb: Sommergewitter über dem Po

Cesare Pavese, Siegfried Lenz, Hermann Burger: Wie Schriftsteller vergessen, neuentdeckt und wiedergelesen werden.

Neulich war der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm zu einer Lesung in Berlin. Er sprach unter anderem darüber, dass das Vorbild für seinen jüngsten Roman „Weit über das Land“ eine Erzählung von Nathaniel Hawthorne gewesen sei, „Wakefield“. Darin, ähnlich wie in Stamms Roman, verlässt ein Mann von heute auf morgen sein Haus in London und seine Frau, allerdings nur, anders als bei Stamm, um eine Straße weiter sich ein Zimmer zu mieten und zu schauen, wie das Leben ohne ihn weitergeht. Stamm erzählte zudem von einem weiteren Schriftsteller, der ihn beeinflusst habe, Cesare Pavese, und verwies auf dessen Roman „Junger Mond“. Der handele „von einem“, so Stamm, „der weggegangen ist und wieder zurückkommt, ein ganz wunderbares Buch“.

Ich war verblüfft: Cesare Pavese, den hatte ich dereinst, achtziger Jahre!, regelrecht verschlungen,  Bücher wie „Die einsamen Frauen“, „Der Teufel auf den Hügeln“ oder „Der schöne Sommer“, in diesen schön gestalteten Fischer-Taschenbuchausgaben. Aber warum bloß? Was fand ich an Paveses Prosa? Und warum habe ich diesen italienische Autor, der sich 1950 umgebracht hat, vergessen?

Peter Stamm ist ein Verehrer von Cesare Pavese...

Peter Stamm gebührt eine richtiggehende Pavese-Gedächtnismedaille. In den vergangenen Monaten ließ er bei seinen „Weit-über-das-Land“-Lesungen keine Gelegenheit aus, „Junger Mond“ und überhaupt Paveses gesamtes Werk zu erwähnen. In „Weit über das Land“ wird dem Helden in seinen jungen Jahren ein Pavese-Roman zum Kauf empfohlen, „Der schöne Sommer“, von der Frau, die er heiraten und später mitsamt den gemeinsamen Kindern einfach so verlassen wird. Und in seinen Bamberger Poetikvorlesungen sprach Stamm davon, dass Pavese wie kein anderer der Wirklichkeit nahegekommen sei. „Man meint auf den Hügeln zu sitzen, die ferne Tanzmusik zu hören, von der er schrieb, die Spannung vor dem Sommergewitter über dem Po zu spüren, die Jauche zu riechen, die einige Jugendlich in der Nacht von San Rocco auf einer Tenne verspritzen. Aber gerade weil Pavese der Wirklichkeit so nahekam, muss er gemerkt haben, dass er sie nie ganz erreichen würde. Dass Literatur immer nur Ersatz sein kann.“

Schöner lässt sich ein Autor kaum in ein wieder öffentlicheres Bewusstsein rufen – obwohl es an solchen Versuchen nie fehlt, orientiert jedoch nurmehr an den typischen Jubiläen. So wurde Pavese im Jahr 2000 zum 50. Todestag gewürdigt, seinen Tagebuchband „Das Handwerk des Lebens“ ließ damals der Claassen Verlag neu übersetzen. Und ein paar Jahre später, 2008, erschien zum 100. Geburtstag ebenfalls bei Claassen eine Neuübersetzung von „Die einsamen Frauen“. Runde Geburtstage und Todestage generieren letzte routinierte Aufmerksamkeit – danach sind tote Autoren und ihre (vielleicht noch) lebenden Werke auf sich allein gestellt.

...und wirbt nach seinen Lesungen zum Beispiel für dessen Roman "Junger Mond"

Ob zum Beispiel Siegfried Lenz in einer nahen Zukunft neue Leser und Leserinnen finden wird? Der Verlag Hoffmann und Campe hofft das. Er hat gerade mit einer Lenz-Werkausgabe begonnen und dessen offiziellen Debütroman „Es waren Habichte in der Luft“ veröffentlicht. Oder wie ist das mit dem 1989 verstorbenen Schweizer Autor Hermann Burger? Von dem gibt es gerade, ähnlich wie vor ein paar Monaten im Fall von Lenz mit dessen zu Lebzeiten nie veröffentlichten Erstroman „Der Überläufer“, ein allererstes, nie veröffentlichtes Buch, „Lokalbericht“, das schon super anfängt: „Lokalbericht – den Titel, das Schwierigste an einem Buch, habe ich schon. Fehlt mir nur noch der Roman.“ Aber kennt Hermann Burger überhaupt noch jemand, diesen großartigen Schriftsteller, diesen „Mann aus Wörtern“?

Immerhin: Auch das Pavese-Werk wird weiter gepflegt, im Schweizer Rotpunkt Verlag. Der hat diesen Herbst Paveses letzten Roman „Der Mond und die Feuer“ in seiner Edition Blau in einer Neuübersetzung von Paveses bewährter deutscher Übersetzerin Maja Pflug veröffentlicht und kündigt weitere Paveses an. Auf dass es nicht so sein möge, wie es Hermann Burgers „Lokalbericht“-Held Günter Frischknecht orakelt: „Lesen ist gefährlich, viel gefährlicher als Schreiben. Deshalb wird je länger desto mehr geschrieben und immer weniger gelesen.“

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