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Vorsicht, Literaturdebatte!

© dpa-bildfunk

Literaturdebatte: Der gebrauchte Nestbeschmutzer

Unsere immer gleiche Literaturdebatte gib' uns heute: Das Seltsamste an der aktuellen, von Maxim Biller neu angefachten Debatte über die deutsche Gegenwartsliteratur ist, dass es sie überhaupt gibt. Womöglich demonstriert sie eine tiefe Unsicherheit des Literaturbetriebs überhaupt.

Am erstaunlichsten an der Gegenwartsliteraturdebatte der vergangenen Tage ist, dass es sie als Debatte überhaupt gibt. Und dass ausgerechnet Maxim Biller, nachdem sie nach der Abrechnung des jungen Autors Florian Kessler mit seiner Generation im Allgemeinen und der Arztsohn-und-Literaturinstitutsliteratur im Besonderen nur noch auf kleiner Flamme vor sich hingeköchelt hatte (siehe Tsp vom 2.2), diese Debatte vorvergangene Woche in der „Zeit“ noch einmal richtig entfacht hat. Jener Biller, der ungefähr alle zehn Jahre mit Aplomb verkündet, die deutschsprachige Gegenwartsliteratur sei langweilig, leblos, ungefährlich, lebensfern, schlappschwanzig etc., der aber dieses Mal zudem explizit jene Autoren und Autorinnen mit seiner Tirade meint, die nicht in Deutschland geboren oder keine deutschen Muttersprachler sind, aber auf Deutsch schreiben.

Man hätte das alles eigentlich als Billertypische Hasszeilen stehen lassen können: Ach, dieser ganze Lebens- und Wildheitsquatsch; ach, schon wieder die Nazi-Keule! Doch Tag für Tag bekommt Biller nun seine Erwiderungen in den Feuilletons. Eindrucksvoll ist die Liste der Namen, die ihm entgegengehalten wird, um die Offenheit, Vielgestaltig- und Vielstimmigkeit der deutschen Literatur zu demonstrieren. Da sind also Feridun Zaimoglu, Terézia Mora, Sharon Dodua Otoo, Layla Shah, Myra Çakan, Zsuzsa Bánk, Clemens Meyer, Oswald Egger, Katja Petrowskaja, Olga Grjasnowa, Marjana Gaponenko, Per Leo, Ilija Trojanow, Ann Cotten undundund. Natürlich wird auch das Polemische Billers zurückgewiesen, auch das Gesinnungspolizeiliche , dass er gleichfalls überwunden geglaubte Zuschreibungen unternimmt (Wer einen nichtdeutschen Hintergrund hat, muss einfach wild, lebendig, wahr schreiben?), dass Literatur nicht nach Vorschrift produziert werden kann etc.

Auch Weltliteratur ist ein Label, das nicht immer hält, was es verspricht

Trotzdem demonstrieren die vielen Erwiderungen und Zurückweisungen auch eine starke Unsicherheit: wie nämlich mit der einheimischen Literaturproduktion zu verfahren ist, wie man sich über sie verständigen soll. Biller hat wider einen Stachel gelöckt. Hat er womöglich doch recht? Sie ist natürlich oft ziemlich öde und langweilig, diese deutsche Literatur; auch schlecht, also alles andere als kunstvoll oder ein ästhetischer Genuss – und doch werden alle Halbjahre Sensationen aus Deutschland ausgerufen und Bücher aus Deutschland gefeiert, die so schnell vergessen sind, wie sie von Kritikern gelesen wurden, werden Preise vergeben an Bücher, die das vom Stoff her rechtfertigen, aber nicht ästhetisch.

Das mag man nur nicht so gern allzu oft oder überhaupt sagen, schon gar nicht, wenn ein Frühjahr, Herbst oder aufmerksamkeitsökonomisch wichtige Buchmessen anstehen, das würde die eigene Arbeit ja entwerten. Lieber schweigt man – zumal es darüber hinaus genügend Literatur aus anderen Teilen der Welt gibt, Weltliteratur, hach!, die gerade in Deutschland in schöner hoher Anzahl übersetzt und verlegt wird – ein Leseleben lässt sich problemlos ohne zeitgenössische Literatur aus deutscher Produktion gestalten. Aber auch „Weltliteratur“ ist ein Label, das nicht immer hält, was es verspricht. Peter Kurzecks Bücher würde man nie so nennen, grandios sind sie trotzdem!

Maxim Biller ist genau der Richtige, der stellvertretend ruhig die Keule schwingen darf, die sonst nur ungern geschwungen wird. Die Literaturkritik tut sich schwer damit, überhaupt noch Literaturdebatten zu initiieren, in denen es um die Verständigung über die richtige, notwendige oder schlechte Literatur geht – weil niemand mehr hinhört, weil Debatten über Hegemanns „Axolotl Roadkill“ oder Krachts „Imperium“ größere Aufmerksamkeit generieren.

Biller ist der gern gebrauchte Literaturbetriebsnestbeschmutzer – so kann der Literaturbetrieb wieder einmal geballt sagen, dass doch alles irgendwie gut ist. Dem wohnt in Billers Fall auch eine gewisse Tragik inne – nicht zuletzt, weil er einerseits vor allem von Autoren mit migrantischem Hintergrund „das literarische Leben Deutschlands in Bewegung und durcheinander“ gebracht sähe, aber mit den eigenen Büchern stets auf die so hinreichend erzählte deutsche Geschichte und das deutsch-jüdische Verhältnis rekurrieren muss.

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