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Ob die jetzt besser verkauft werden - in unserer digitalen Zeit? Das Werk von Bob Dylan.

© dpa

Literaturnobelpreis 2016: Das bedrohte Glück des Augenblicks

Mit der Wahl Bob Dylans hat die Nobelpreisjury ihren Literaturbegriff noch einmal erweitert. Damit kann die Literatur gut leben - der Pop aber wird weiter kanonisiert.

Als vergangenes Jahr die Weißrussin Svetlana Alexijewitsch den Literaturnobelpreis verliehen bekam, gab es für diese Entscheidung viel Kritik. Alexijewitsch sei gar keine Schriftstellerin, wurde moniert, sondern vielmehr Journalistin, Reporterin, sie schreibe Dokumentationen, keine Literatur, und überhaupt habe das Nobelpreiskomitee in diesem Fall nur politisch entschieden.

Am vergangenen Donnerstag hat die schwedische Akademie mit der Wahl Bob Dylans die Welt einmal mehr verblüfft, insbesondere die literarische. Der Literaturnobelpreis für einen Singer und Songwriter! Für einen Künstler, dessen ursprüngliches Spielfeld die Popmusik ist, der seine Geschichten nicht auf Lesebühnen erzählt, sondern mit der Gitarre in der Hand und einer Band an seiner Seite. Auch dieses Mal war die Begeisterung nicht einhellig, gerade Literaturkonservative zeigten sich verwundert, nicht zuletzt weil Dylans Lyrics, seine Geschichten an die Musik gebunden sind.

Nur ist diese Entscheidung vor allem eins: zeitgemäß. Sie ist eine stimmige Reaktion auf zunehemend durchlässigere Grenzen in der Literatur, aber auch auf den Bedeutungszuwachs von Pop und Popmusik, auf ihre Entwicklung hin zu einer anderen Künsten gleichberechtigten klassischen Kunstform. Die Jury der schwedischen Akademie erweitert Jahr für Jahr gezielt und geradezu programmatisch den Literaturbegriff – und reduziert dabei wie nebenbei die Spannung der scheinbar jährlich größer werdenden Aufladung dieses Preis, ohne ihm aber seine Bedeutung zu nehmen.

Die Dylansong-Exegese ist nicht die leichteste Übung

Das fiel schon 2014 auf, als der französische Schriftsteller Patrick Modiano ausgezeichnet wurde. Modianos Werk ist ein allein der Literatur und einem ihrer Kernbereiche, der Erinnerung verpflichtetes. Es ist sprachlich und formal sehr einheitlich, und politisch ließ sich diese Würdigung ganz und gar nicht interpretieren. Im Fall von Alexijewitsch steht dagegen die dokumentarische Literatur und Reportage im Fokus, bei Dylan ist es nun die gesungene Poesie, eine andere Form des poetischen Ausdrucks. Die wiederum trotzdem in einer langen literarischen Tradition steht, der mündlichen Überlieferung.

Insofern irrt, wer nun gleich glaubt, die Popmusik sei überhaupt die ultimativste aller Künste, das konzentrierte Lesen als Kulturtechnik überholt, die intensive Auseinandersetzung mit literarischen Werken, mit langen Texten eine Sache von vorgestern – von wegen Digitalisierung, von wegen der in den sozialen Medien bevorzugten Kurzprosa, so man sie als solche überhaupt bezeichnen mag. Die Dylan-Songexegese ist nicht eine der leichtesten Übungen.

Für die Popmusik jedoch ist diesjährige Entscheidung der schwedischen Akademie der vorläufige Höhepunkt ihrer seit Jahren voranschreitenden Kanonisierung. Das Selbstverständnis von Popmusikern ähnelt dem von beispielsweise Schriftstellern und Schriftstellerinnen immer mehr. Sie arbeiten nicht mehr allein dem Glück des Augenblicks zu, eines der Hauptmerkmale von Pop, sondern an Werken, die Bestand haben und haben sollen. Zu denen die Pop-Musiker nicht zuletzt ein biografisches Verhältnis haben. Dylan ist da mit der Fortschreibung seiner Songs bis in die Gegenwart vielleicht das leuchtendste Beispiel. Aber auch an die langsam in die Jahre kommenden Hip-Hop-Musiker darf man in diesem Zusammenhang denken, an ihre reichhaltigen, kunstvollen Erzählungen. Der Literaturnobelpreis für Bob Dylan, er könnte sich für die Literatur und den Pop gleichermaßen als Glücksfall herausstellen.

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