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Kultur: Lob der Faulheit

Was ist konservativ? Frankreichs „Intellos“ streiten sich

Dass Popstars die Funktion der Intellektuellen übernehmen und sich zu Fragen der Zeit äußern, ist ein Phänomen, dem man auch in Frankreich begegnet. Kritisch-engagierte Impulse aus dem literarischen Feld sind rar. Und als im letzten Jahr von dort dann ausgerechnet wohlwollende Stimmen zum Wahlsieg der Konservativen zu vernehmen waren, setzte unter dem Schlagwort der „nouveaux réactionnaires“ eine neue Welle der Intellektuellenschelte ein. Die bürgerliche Wochenzeitschrift „Figaro Magazine“ will diesem doppelten Eindruck des Versagens nun mit einer Kampagne unter dem Titel „Die Rückkehr der Intellos“ entgegenwirken.

Der Pariser Politologe Alain Besançon setzt dabei überraschenderweise auf die junge Generation und auf die Provinz. Dass die „Klasse der Intellektuellen“ nicht besonders stolz auf sich sein könne, sei auf ihre zahlreichen Irrtümer zurückzuführen, denen sie im Laufe des 20. Jahrhunderts unterlegen sei, meint Besançon und zählt die Verirrungen des Nationalismus auf der einen und des Marxismus-Leninismus auf der anderen Seite auf. Gleichwohl sieht er aber insbesondere in Frankreich eine spezifische Landschaft von „Zwischenräumen“ gegeben, in denen Künstler und Denker unter dem Schutz eines liberalen Bürgertums kreativ sein konnten und können – und dies, obwohl viele von ihnen gerade im staatlichen Kultur- und Bildungswesen angestellt seien.

Für den interkulturell inspirierten Austausch empfiehlt er die Nischen der immer attraktiver werdenden urbanen Milieus im Süden und Osten Frankreichs, fern von der Meinungsmaschinerie Paris. Voller Optimismus preist er die Generation, die jetzt von den Universitäten komme, eine exzellente klassische Bildung mitbringe und sich – unbelastet von ideologischer Theorie – frei von links/rechts-Schemata entfalten werde. Diesem Entwurf hält Alain Finkielkraut in einem Interview entgegen, er habe noch nie zuvor ein so gewalttätiges geistiges Klima erlebt wie heute; der Kalte Krieg setze sich fort in der „Brutalisierung des intellektuellen Lebens“, wenn beispielsweise jeder, der wie er in den Verdacht gerate, die Vereinigten Staaten oder Israel zu unterstützen, antisemitischen Beschimpfungen ausgesetzt werde. Darauf, so Finkielkraut, wolle er nicht mit der Einsamkeit einer Nischenexistenz reagieren, sondern im Gegenteil die mediale Präsenz weiterhin suchen und Foren „redlicher“ Auseinandersetzungen schaffen.

Ein prominenter Vertreter der jüngeren Intellektuellengeneration, der ebenfalls als beliebtes Ziel linker Kritik gilt, hat sich für die andere Lösung entschieden: Michel Houellebecq, das enfant terrible der französischen Literaturszene, der mit freimütigen Interviews und tabulosen Zeitromanen („Elementarteilchen“ und „Plattform“) an den ethischen Grundfesten seiner Leserschaft gerüttelt hat und in der Abgeschiedenheit Irlands lebt, wirbt für eine gelassene Neudefinition des Konservativen. Im „Figaro magazine“ warnt er davor, dieses Etikett mit dem des Reaktionären zu verwechseln und dabei das Potenzial jener Literaten zu übersehen, die sich nicht der vorherrschenden Ideologie des „bougisme“ anschließen wollten, des kürzlich vom Philosophen Pierre-André Taguieff gegeißelten blinden Fortschrittswillens. Er, Houellebecq, fühle sich von der Routine ewiger Innovation ermüdet. Seinen Gemütszustand bezeichnet er als „intellektuelle Faulheit“, die nichts anderes als die „Wurzel des Konservatismus“ sei. Auf dieses Bekenntnis folgt nun freilich keine Selbstkritik, sondern ganz im Gegenteil eine geradezu naturwissenschaftliche Herleitung der existenziellen Notwendigkeit des Konservatismus als Tugend.

Schon in der Mathematik lerne man, so Houellebecq, dass die elegante, die kurze Beweisführung als die bessere gelte, weil sie Zeit und Gedächtnis spare. Ergo: Faulheit ist ein intellektueller Vorteil. Darüber hinaus weise wissenschaftliches Arbeiten in seinem Wechselspiel von theoretischer Entwicklung und experimenteller Verifizierung eine wesentlich konservative Geisteshaltung als Grundbedingung auf – alles wird schließlich in langwierigen und teuren Versuchen daran gesetzt, die hart erarbeitete Theorie nicht aufgeben zu müssen. Erst vor dem Hintergrund dieses Basiskonservatismus’ könnten Paradigmenwechsel als einschneidende Revolutionen der Theorie überhaupt sichtbar werden. Übertragen auf die Ebene politischen Verhaltens erkläre dies, warum der Konservative die Tendenz habe, die Gegenwart zu idealisieren und in großer Kompromissbereitschaft jeden anstehenden Leidensdruck abzumildern.

Der Konservatismus als Quelle des Fortschritts und die Faulheit als Mutter der Effizienz – diese eigenartige Konstruktion, mit der das Verhalten der Intellektuellen nach dem Zeitalter des unbedingten Engagements erläutert und nobilitiert werden soll, führt zum melancholischen Grundtypus, den der Autor so glaubwürdig verkörpert und der vom Publikum so begeistert goutiert wird. Am Ende seiner Intervention in der jüngsten französischen Intellektuellendebatte verleiht er diesem Typus die Aureole des Friedfertigen in Zeiten eines latenten Krieges: Den Widerständigen, Revoltierenden, den Patrioten und den Störenfried verachte er, weil er hinter ihren vordergründigen Motiven Dummheit, Eitelkeit und Gewaltverherrlichung wittert; im Gegensatz zum Reaktionären werde der Konservative daher niemals über Helden oder Märtyrer verfügen. Doch auch wenn er konsequenterweise niemanden retten werde, so werde er auch keine Opfer fordern. Er sei ein „sehr wenig gefährliches“ Individuum. Wenigstens etwas.

Roman Luckscheiter

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