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Zusammen ist man stark. Ensembleszene aus „der die mann“ von Herbert Fritsch an der Volksbühne.

© Thomas Aurin

Berliner Theaterstreit: Und jetzt alle!

Claus Peymann poltert: Der Senat wolle die Volksbühne zum "Eventschuppen" machen. In einem Punkt hat er nicht ganz unrecht. Die Kunst braucht Ensembles. Und Ensembles brauchen geschützte Räume. Die Eventkultur bietet das nicht.

Der offene Brief, den Claus Peymann am 1. April an den Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller schrieb, strotzt nur so vor knackigen Formulierungen. Dafür, sich markig an der Beschimpfungsgrenze zu bewegen, ist der Chef des Berliner Ensembles und Hauptstadt-Entertainer bekannt. Peymann nannte Kulturstaatssekretär Tim Renner „die größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts“ und warf ihm vor, die Volksbühne mit dem Museumsmann Chris Dercon als möglichem Nachfolger Frank Castorfs zum soundsovielten „Eventschuppen“ der Stadt machen zu wollen.

Die Attacken mögen hitzig und überzogen sein. Aber dahinter steckt die ernst zu nehmende Befürchtung, traditionsreiche und gewachsene Ensemblestrukturen könnten zugunsten eines Gastspielbetriebs aufgelöst werden. Am Montag im Kulturausschuss hat Renner zwar betont, dass aus der Volksbühne „kein weiteres Festspielhaus“ werden soll. Aber seine Vorstellungen bleiben nebulös: Ein „großes, starkes“ Haus, das „vom Experiment lebt“, schwebt dem Kulturstaatssekretär demnach vor. Das war’s zur künftigen Profilierung des Traditionstheaters am Rosa-Luxemburg-Platz.

Es lohnt sich also, jetzt über Strukturen nachzudenken. Das darf man auch von einer kompetenten Kulturpolitik erwarten. Man kann definitiv darüber streiten, inwiefern der glühende Ensembletheater- Verfechter Claus Peymann seine eigene Forderung im Berliner Ensemble erfüllt. Die Strukturdebatte auf einen schlichten Generationskonflikt reduzieren zu wollen, ist aber eine fahrlässige Verkürzung.

Berlins jüngstes Theater kommt dem Ensembletheater-Ideal am nächsten

Ironischerweise ist es nämlich gerade das jüngste und erfolgreichste Berliner Theater, das dem (Peymann’schen) Ensembletheater-Ideal momentan am nächsten kommt: das Maxim Gorki Theater, von der Kritikerjury der Fachzeitschrift „Theater heute“ mit überwältigender Mehrheit zum „Theater des Jahres 2014“ gekürt. Unter der Intendanz von Shermin Langhoff und Jens Hillje trat hier vor zwei Jahren ein Künstlertrupp im Schutz eines festen Hauses mit der entsprechenden Infrastruktur an, um ein eigenes, für die Hauptstadt komplett neues Profil zu entwickeln.

Das postmigrantische, frisch zusammengestellte Ensemble bürstet nicht nur Kanon-Klassiker wie „Die Nibelungen“ oder den „Kirschgarten“ gegen den Strich, indem es ihnen, logischerweise, andere Blickwinkel abgewinnt als die übrigen Häuser. Sondern es entwickelt gleichermaßen eigene Projekte, in denen Weltgeschichte perspektivenreich in den konkreten Biografien seiner multiethnischen Protagonisten gespiegelt wird.

So konservativ Begrifflichkeiten wie Ensemble- und Stadttheater in globalisierten Projektkulturohren klingen mögen: Mit einer Aneinanderreihung eingekaufter und fremd produzierter einzelner Events ist eine nachhaltige Profilierung schwerlich zu erreichen. Und vieles hat sich auch an der forcierten Projektkultur überholt, wirkt alt.

Unter Thomas Ostermeier hat sich die Schaubühne – ganz gleich, ob das in jedem Einzelfall überzeugend wirkt – mit ihren Klassiker-Aktualisierungen, in denen Schauspieler wie Nina Hoss oder Lars Eidinger auftreten, als Marke etabliert. Und auch dort wird ein Ensemble zusammengehalten. Ensemblebildung, man sieht es am Deutschen Theater, ist unabdingbar für die Kunst. Und nichts ist anspruchsvoller. Im Grunde gehören auch Autoren und Dramaturgen dazu. Sonst hätte sich die Schaubühne in den Siebzigerjahren nicht zu dem weltberühmten Theater entwickelt. Lange her. Aber der Ensemblegedanke lebt auch unter veränderten Bedingungen weiter.

Zu einem einigermaßen konstanten Kollektiv gehören neben Schauspielern auch Regisseure, Dramaturgen und Gewerke

Für ein Ensemble braucht es finanzielle wie strukturelle Schutzräume. Dazu gehört ein einigermaßen konstantes Kollektiv, zu dem neben den Schauspielern, Regisseuren und Dramaturgen auch die Gewerke gehören. Und ein solches Haus muss sich mit seinem Publikum entwickeln können. Ein Recht auf Kurzzeitstagnation und punktuelles Scheitern ist da unbedingt eingeschlossen. Ob das Ensemble dabei aus elf oder 22 fest angestellten Schauspielern besteht oder ob, wie aktuell an der Volksbühne, seit jeher fest mit dem Haus verankerte Protagonisten wie Kathrin Angerer inzwischen regelmäßig als Gäste auftreten, ist dabei nicht der entscheidende Punkt.

Vielmehr ist es gut möglich, dass das Theater in Zeiten des unbestreitbaren Gegenwartswahns, in denen das Geschichtsbewusstsein schwindet, gerade in seiner buchstäblichen Verortung im Stadttheatersinn wieder an Wichtigkeit gewinnt. Dafür steht nicht nur Shermin Langhoffs postmigrantisches Konzept am Gorki, sondern auch das ost-west-diskursive ihres Vorgängers Armin Petras, der jetzt das Stuttgarter Schauspiel leitet. Und das Staatsschauspiel Dresden wäre in den letzten Wochen sicher kaum zu einem überzeugenden Ort der Auseinandersetzung mit Pegida geworden, wenn es nicht schon seit Jahren in die Stadt hineingelauscht und im Spielplan auf solche Themen reagiert hätte.

Verortung ist ja nicht gleichbedeutend mit regionaler Diskurs-Beschränkung. Die Gorki-Reichweite geht nicht nur über die Hauptstadt-, sondern auch über die Landesgrenzen hinaus. Und der Diskurs, den die Volksbühne Anfang der neunziger Jahre mit ihrer ästhetischen Revolution begonnen hat und der – trotz aller Krisen und Durchhänger – in jedem Fall widerständig gegenüber Moden und Marktförmigkeit geblieben ist, gilt zu Recht als legendär.

Von welcher Dauer diese ensemblegestützten Langzeitexperimente idealerweise sein sollten, steht freilich auf einem anderen Blatt. Der frühere Münchner und Hamburger Intendant Frank Baumbauer sprach einmal von der magischen Zeitraum von sieben bis neun Jahren, dann sei Schluss. Dass der Trainer- und Protagonistenwechsel die Kunst in der Regel genauso belebt wie den Sport, weil sich andernfalls Routinen einschleichen, ist ein offenes Geheimnis. Und dass Berlin sich bei Trainerwechseln in den letzten Jahren nicht gerade aufgeschlossen zeigte, ebenfalls.

Claus Peymann wird im Jahr 2017, wenn seine Nachfolger Oliver Reese aus Frankurt/Main kommt, 18 Jahre Intendant am Berliner Ensemble gewesen sein, Frank Castorf dann 25 Jahre. Thomas Ostermeier leitet die Schaubühne auch schon seit sechzehn Jahren. Inwiefern das von Renner proklamierte „Neudenken“ an der Volksbühne nötiger sein sollte als anderswo, darüber lässt sich streiten. Castorfs Bühne war zuletzt fünf Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen und eröffnete Regiekünstlern wie Herbert Fritsch oder Vegard Vinge Möglichkeiten und Ressourcen, wie es an keiner anderen Institution denkbar gewesen wäre. Fritschs Stücke haben einen unglaublichen Siegeszug hingelegt, auch weil es ihm gelungen ist, eine Truppe aufzubauen, mit Schauspielern und Musikern, die wie ein eingespieltes Kollektiv wirkt, das sich weiterentwickelt. Und die Bühnentechniker soll man dabei nie unterschätzen.

Im Übrigen geht es nicht darum, Ensembletheater, Gastspielbühnen und Häuser der Freien Szene gegeneinander auszuspielen. Dass all diese Spiel- und Betriebsformen ihre Bedeutung haben, wird kein ernst zu nehmender Mensch bestreiten. Worum es allerdings beim „Neudenken“ geht: Man darf nicht vorschnell Perspektiven und Blickwinkel auslassen und im schlimmsten Fall einem Haus den Geist austreiben.

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