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Kultur: Lob des Landlebens

WETTBEWERB „The Song of Sparrows“ von Majid Majidi

Heile Welt. Auf dem Feld blüht das Gras, auf dem Hof spielen die Kinder. Eine Horde Strauße zieht vorbei – begnadete Komiker, diese Vögel mit ihrem langen Hals, dem wiegenden Gang, dem kleinen Kopf. Der erste Lacher ist schon sicher.

Glückliches Landleben. Doch die kleinen Katastrophen sind große Katastrophen. Das Hörgerät der ältesten Tochter ist ins Wasser gefallen – der Ersatz kostet 400 Dollar. Und dann büxt auch noch ein Strauß aus, Wert 2000 Dollar, marschiert zielstrebig davon, und ward nicht mehr gesehen. Das war’s, mit dem Job von Karim (Reza Naji) auf der Straußenfarm.

Der iranische Regisseur Majid Majidi ist bislang mit wunderbaren Kinderfilmen hervorgetreten: „Kinder des Himmels“ (1997) über ein Geschwisterpaar, das sich ein Paar Turnschuhe für den Schulbesuch teilt, oder „Die Farben des Paradieses“ (1999) über einen blinden Jungen. Immer hat man sich gedacht, dass das eigentlich keine Kinderfilme sind, nicht nur jedenfalls. Zu viel sagen sie über die Nöte des heutigen Iran.

Nun läuft „Avaze Gonjeshk-Ha – The Song of Sparrows“ im Wettbewerb, und eigentlich, denkt man sich, ist es doch ein Kinderfilm. Nicht nur, weil Kinder in ihm so eine große Rolle spielen, diese fröhliche Schar, die von einem Goldfischteich träumt und sich über alles streitet, über ein Straußenei, und darüber, wer des Vaters Gipsbein bemalen darf. Sondern vor allem, weil sich am Ende alles schön in Harmonie auflöst. Der Jobverlust, ein Unfall, all das hätte auch eine finstere Tragödie abgeben können – im wahren Leben ist es das wahrscheinlich auch – aber im Film findet dank der Hilfsbereitschaft der Nachbarn alles ein gutes Ende. „Die Welt ist eine Lüge, die Welt ist ein Traum“, singt der Vater am Ende dem Sohn vor, die Tränen trocknen, und ein strahlendes Lächeln erscheint.

Auch die Botschaft ist einfach: Kapitalismus ist böse, Solidarität ist gut. Vater Karim verdingt sich nach seiner Kündigung als Motorrad-Taxifahrer in Teheran, lernt das schnelle Geld zu schätzen, und bringt aus der Stadt alle möglichen Fundstücke mit: Türen, Antennen, Reifen, die den idyllischen Hof schnell in einen Schrottplatz verwandeln. Ja, auch die Stadt, dieser Moloch Teheran, wo auf der Straße das Gesetz des Stärkeren gilt, ist böse, und auf dem Land, diesem idyllisch-friedlichen Land, da ist es gut.

Nur die Untertöne sind nichts für Kinder – und kaum spürbar für ein westliches Festivalpublikum. Dass Karim seiner Frau eine Sommernacht auf dem Dach – sprich: Sex open air – verheißt: ein Wagnis. Auch dass die Lieder im Film offen von Nähe und Zärtlichkeit handeln – nicht selbstverständlich. Wie überhaupt die Ehebeziehung ungewöhnlich gleichberechtigt, liberal erscheint. Und da die Familie dort auf dem Land wohl Turkmenen, also eine Minderheit im Iran sind – man ahnt es nur, weshalb Karim in der Stadt als Underdog gilt.

Auch die Bilder, die Majidi für seine Geschichte findet, sind kindgerecht: leicht fasslich, groß und surreal. Eine blaue Haustür, die über ein Feld getragen wird, Goldfische, die auf einer Straße zu vertrocknen drohen, ein Strauß, dem zum Transport eine Haube übergestülpt wird wie ein Schleier. Ein Bild sagt mehr als viele Worte. Am Ende wird eine Schwalbe freigesetzt, und ein Strauß wiegt sich graziös im Takt. Alles wird gut.

Heute 9.30 und 23.30 Uhr (Urania),

20 Uhr (International), 17.2., 12.30 Uhr (Urania)

Christina Tilmann

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