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Kultur: Lohn der Angst

Nichts ist für Utopisten ernüchternder als die Verwirklichung ihrer Utopie.Diese bittere Erfahrung macht derzeit die grüne Partei bei ihrem Versuch, den so lange herbeigesehnten Ausstieg aus der Atomenergie mitzuorganisieren.

Nichts ist für Utopisten ernüchternder als die Verwirklichung ihrer Utopie.Diese bittere Erfahrung macht derzeit die grüne Partei bei ihrem Versuch, den so lange herbeigesehnten Ausstieg aus der Atomenergie mitzuorganisieren.Daß ihnen die Erfüllung ihres Wunschtraums zum Alptraum zu geraten droht, haben sich die Grünen selbst zuzuschreiben.Über zwei Jahrzehnte hinweg hatten sie die Atomkraft zum Inbegriff aller apokalyptischen Übel der Zivilisation erhoben.Damit haben sie sich selbst unter Zugzwang gesetzt, die teuflische Technologie so schnell wie möglich loszuwerden.Jetzt, da sie an der Regierung sind, schlägt die Stunde der Wahrheit.Wie bei keiner anderen Frage steht hier nicht nur ihre Glaubwürdigkeit als Regierungspartei, sondern ihre ganze Identität als politische Kraft auf dem Spiel.

Denn das Feindbild Atomenergie ist so etwas wie der letzte fundamentalistische Überhang im ansonsten pragmatisch rundumgeläuterten Bewußtsein der grünen Parteiführung.Ausgerechnet im Nahkampf mit diesem Erzfeind aber lernt sie jetzt ihre schmerzhafteste Lektion über die Paradoxien praktischer Politik.Die Grünen haben nicht ausreichend bedacht, daß man Atomkraftwerke nicht abstellen kann, ohne Folgewirkungen zu produzieren, die unter Umständen noch gefährlicher sein können als die Risiken des laufenden Betriebs.Den geplagten grünen Koalitionspolitikern dämmert nun, daß selbst größte Übel nur mit großer Vorsicht beseitigt werden können, weil dahinter oft viele neue Übel versteckt sind, die man noch nicht sehen konnte, weil das ganz große Übel sie verdeckte.

Aber die grünen Verantwortungsethiker haben keine Aussicht, mit solchen Einsichten beim militanten Flügel ihrer Basis gehört zu werden.Denn in grün-alternativer Tradition ist das Atom nun einmal das absolut Böse, und die grünen Spitzenpolitiker, denen jetzt der Golgathaweg zäher Konsensgespräche mit der verruchten Atomindustrie bevorsteht, mögen sich mit Wehmut an die Zeiten erinnern, als sie selbst noch an solch düster-tröstliche, manichäische Vereinfachungen glauben konnten.

Der Kampf gegen die Atomkraft ragt wie ein Symbol aus fernen Zeiten der alten Bundesrepublik in die Aufbruchsstimmung der Berliner Republik hinein.Aus heutiger Sicht scheint die damalige Aufregung ums Atom seltsam weit entrückt.In den späten siebziger und frühen achtziger Jahren war nämlich Endzeitstimmung angesagt.Man fieberte regelrecht irgendeinem katastrophalen Ereignis entgegen, das der unerträglichen Überdehnung der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft endlich ein Ende bereiten würde.Die westliche Verschwendungswirtschaft erschien der mächtig erstarkenden Öko-Bewegung wie ein furchtbarer Frevel gegen die Natur, und mit Angstlust erwartete man den Tag, an dem die rächende Hand dieses Ersatzgottes zurückschlagen würde.

Die Ökologie- und die mit ihr verschwisterte "Friedensbewegung" waren die deutschesten aller deutschen "neuen sozialen Bewegungen" der siebziger und achtziger Jahre.In ihr brachen sich alle angestauten Weltenbrandphantasien und Verseuchungsängste Bahn, die die Deutschen seit dem Ende des Nazireichs nicht mehr hatten ausleben durften.Gleich nach der Horrorvision von einem unmittelbar bevorstehenden Atomkrieg ("nuklearer Holocaust") war die Vorstellung eines kommenden SuperGAU im nächstliegenden AKW die zweitbeliebteste fixe Idee aller Endzeitpropheten.In ihr mischte sich eine moralistisch sublimierte Katastrophenfaszination mit einer quasireligiösen Erlösungssehnsucht in der Tradition der christlichen Eschatologie.Wie einst der biblische Prophet Johannes, als er der sündigen Welt das vernichtende Strafgericht Gottes androhte, hofften auch die grün-alternativen Schwarzmaler, die von den Gleisnereien der Konsumgesellschaft auf den Irrweg gelockte Menschheit könne durch die ständig wiederholte Beschwörung furchtbarster Katastrophenszenarien in letzter Sekunde zur Umkehr bewegt werden.Manch einer der Vordenker der Ökobewegung, darunter selbst so seriöse Köpfe wie der Philosoph Hans Jonas, liebäugelte sogar mit dem Gedanken, es müsse erst zu spektakulären Mega-Unglücken kommen, damit die Gesellschaft endlich Vernunft annimmt.So war bei der Prophezeiung des Desasters auch immer ein wenig der Wunsch nach dem reinigenden apokalyptischen Gewitter der Vater des Gedankens.

Die Anti-AKW-Bewegung war, wie die mit ihr verwandte Friedensbewegung, nicht zuletzt eine teils kulturrevolutionäre, teils folkloristische Bewegung für die Rückkehr ins einfache, natürliche Leben.Man kleidete sich demonstrativ schmucklos, sättigte sich mit angeblich giftfreier Nahrung aus biodynamischem Anbau und umgab sich mit jugendbewegtem Klampfenklang.So entdeckte man auch urtümliches deutsches Volksliedgut und die authentischen Dialekte der heimischen Region wieder, und bald machte die Phrase von der "geistigen Umweltverschmutzung" durch den "amerikanischen Kulturimperialismus" die Runde.So urdeutsch war das Erscheinungsbild dieses Öko-Auftriebs, daß der Essayist Wolfgang Pohrt darin eine neue "völkische Erweckungsbewegung" zu erkennen glaubte.Tatsächlich hatten die Deutschen mit dem Ökologie-Gedanken endlich wieder eine Missionsidee gefunden, an der, wie sie hofften, die ganze Welt genesen könnte.Die jahrhundertealte deutsche Zivilisationsphobie, die der entfremdeten, maßlosen westlichen Moderne die organische Harmonie einer bodenständigen Kultur entgegengesetzt hatte, feierte hier noch einmal fröhliche Urständ.

Doch all das ist schon lange her.Die Apokalypse fand zum wiederholten Male nicht statt.Was an der ökologischen Bewegung bahnbrechend und vorwärtsweisend war, hat das bestehende System souverän absorbiert.Die Furcht vor dem Atomkrieg hat sich durch die Entwicklung seit 1989 gewissermaßen von selbst erledigt, und auch der Horror vor dem Super-GAU, der nach Tschernobyl seinen Höhepunkt erreicht hatte, ist langsam verblaßt.Gleichwohl blieb der Atomausstieg auf der Prioritätenliste der grünen Bewegung ganz oben.Doch während die Grüne Partei ihren mühsamen langen Marsch an die politische Macht absovierte, hat die Atomkraftfrage ihre systemüberwindende Brisanz verloren.Der Ausstieg wird jetzt möglich; aber nicht etwa, weil die Bevölkerung eine tiefgreifende Bewußtseinswende vollzogen hätte, sondern weil den Energiekonzernen die Technologie ohnehin zu kostenintensiv geworden ist.Und auch dem energiepolitischen Sonderweg, den Deutschland jetzt beschreitet, fehlt jeder utopische Glanz - eher schon haftet ihm der Geruch nationalegoistischer Rücksichtslosigkeit an.Statt vom deutschen Beispiel zur Besinnung auf den natürlichen Lebenskreislauf gebracht zu werden, drohen die befreundeten Völker des Westens schnöde mit hohen Schadenersatzklagen.

Wenn eines fernen Tages der Ausstieg aus der Atomenergie abgeschlossen sein wird, wird keine andere, grün-alternative Republik entstanden sein, und schon gar nicht wird ein neues Zeitalter jenseits der technologischen Konsumzivilisation begonnen haben.Die Energiekonzerne werden weiterhin einträgliche Profite machen, und die Bürger der Bundesrepublik werden immer noch nicht bereit sein, den Schreckensvisionen der Ökologen zuliebe auf irgendeine Annehmlichkeit zu verzichten.Der Kapitalismus wird umweltverträglicher und damit noch stabiler sein als je zuvor.Und gesorgt haben werden für diesen Stabilitätszuwachs im Schweiße ihrer Reformarbeit ausgerechnet jene, die dem System einst den selbstverschuldeten apokalyptischen Big Bang vorausgesagt hatten.Erreicht haben aber werden sie am Ende nur, die liberale Konsumgesellschaft von einer weiteren potentiellen Stör- und Gefahrenquelle befreit und sich selbst damit ihrer vorerst letzten düsteren Hoffnung auf eine katastrophisch erzwungene fundamentale Umwälzung der technischen Fortschrittsgesellschaft beraubt zu haben.Es gibt Siege, die von Niederlagen kaum zu unterscheiden sind.

RICHARD HERZINGER

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