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Kultur: Londoner Bühnen: Vorüber, ach vorüber

In seinem letzten Buch "Enter the Fox" beschreibt Simon Gray eine Bootsreise auf der Themse nach Greenwich, wo ein Theaterpreis verliehen wird. Der Preisträger ist noch unbekannt: "Nach so vielen Jahren im Geschäft hat man eine Nase für diese Dinge.

In seinem letzten Buch "Enter the Fox" beschreibt Simon Gray eine Bootsreise auf der Themse nach Greenwich, wo ein Theaterpreis verliehen wird. Der Preisträger ist noch unbekannt: "Nach so vielen Jahren im Geschäft hat man eine Nase für diese Dinge. Sogar betrunkene junge irische Dramatiker mit schlechten Manieren gewinnen Preise." Aber dann ist er es selbst, der den Preis bekommt. Er stolpert auf die Bühne, um ihn entgegenzunehmen: "Eine der Schwierigkeiten in diesem post-alkoholischen Stadium meines Lebens ist, dass ich viel häufiger betrunken erscheine als in der Zeit, in der ich wirklich betrunken war."

Interessanter noch als Grays Kampf gegen die Versuchungen von Champagner und Scotch sind seine demütigenden Erfahrungen mit dem englischen Theaterbetrieb. Obwohl er seit seinem Durchbruch mit "Butley" (1971) einer der anerkannten Meister des englischen Theaters ist, hat er immer noch Mühe, neue Werke an den Mann zu bringen. Sein vorletztes Stück ("The Late Middle Classes") reiste durch die Provinz, doch das West End erreichte es nicht.

"Japes" allerdings, sein letztes Stück, hatte im Haymarket, dem schönsten Theater Londons, glanzvoll Premiere. Ganz am Ende erlaubt sich der Schriftsteller Michael (Jasper Britton), das Alter Ego des Autors, einen Wutausbruch gegen den Sexualjargon seiner jungen Kollegen: "Kein Wort deutet auch nur an, dass die Figuren ein Innenleben haben. Kein Interesse an Leidenschaften oder Gefühlen - ganz so, als ob der Mann nur cock und cock der Mann wäre." Seine Frau Anita (Clare Swinburne) hält sich währenddessen an seinem jüngeren Bruder Jason (Toby Stephens), genannt Japes, schadlos, einem begabten, liebenswerten, aber haltlosen Schlawiner, dem auch der disziplinierte Michael nicht böse sein kann. Mit seiner subtilen Dreiecksgeschichte hat Gray bewiesen, dass er gegen die Ritter von den vier Buchstaben nicht nur polemisieren, sondern es auch besser machen kann.

Conor McPherson, das 29jährige Wunderkind des irischen Theaters, hat keine Scheu, four-letter words zu verwenden. Seine Stärken sind die dichte Atmosphäre seiner meist whiskeygeschwängerten Stücke und die bedächtigen Häutungen, durch die sich seine zunächst unansehnlichen Gestalten aus ihrem Mysterium schälen. McPhersons Schwächen sind sein Hang zum Monolog und seine Gleichgültigkeit gegenüber den klassischen Regeln der Dramaturgie.

Beide, Schwächen und Stärken, lagen in "The Weir" (Das Wehr), dem Hit seiner kurzen, aber brillanten Karriere, offen zutage, und beide sind auch jetzt wieder in "Port Authority", seinem siebten Stück, traulich vereint. Diesmal monologisieren drei Männer, ein junger, ein mittelalter und ein alter, im Hafen von Dublin über ein Schlüsselerlebnis ihrer Vergangenheit. Bei Kevin (Eanna MacLiam) und Joe (Jim Norton) ist es die verpasste Gelegenheit, sich der großen Liebe ihres Lebens zu erklären. Beim dritten ist es die Entdeckung, dass nicht er, das trinkfreudige Großmaul Dermot (Stephan Brennan), unter seinem Stand geheiratet hat, sondern dass ihn seine Frau durch ihre Liebe erhöhte.

Die Liebe ist ein gefährliches Thema, bei dem ein Schritt vom Wege genügt, um in den Morast der Sentimentalität abzurutschen. Doch McPherson, der auch Regie führt, rutscht nicht ab. Wie Ödon von Horvath hat er ein untrügliches Ohr dafür, wie kleine Leute von großen Dingen reden, wobei er - auch darin Horvath gleich - den Dialekt als Anti-Schwulst-Mittel einsetzt. So glänzend getroffen sind die sprachlichen Unterschiede zwischen den drei Generationen, dass der Kritiker des "Times Literary Supplement" prophezeite, künftige Sozialhistoriker würden bei ihren Forschungen über den wirtschaftlichen Wandel Irlands McPhersons Stücke studieren.

Bei David Mamet stehen nicht drei Männer, sondern drei Frauen auf der Bühne. Die Vielseitigkeit des 54-jährigen Amerikaners hat immer wieder etwas Überrumpelndes. Seinen ersten Erfolg hatte Mamet mit einem skatologischen Sittenbild aus den Hinterhöfen Chicagos ("American Buffalo"). Sein letzter ("State and Main") beißt die Hand, die ihn selber nährt - und nimmt Hollywood auf die Schippe. 1999 inszenierte Mamet im amerikanischen Cambridge eine dramatische Fingerübung, die im Donmar Warehouse nun den alten Kontinent erreicht. "Boston Marriage" war im 19. Jahrhundert der Name für die Lebensgemeinschaft zweier Frauen, womit nicht unbedingt gesagt war, dass sie auch etwas "miteinander hatten". Anna (bravourös: Zoe Wanamaker) und Claire haben allerdings etwas miteinander, doch droht die Liaison auseinanderzugehen, da Claire eine neue Bekanntschaft gemacht hat. Die beiden zanken sich im Stil eines viktorianischen Melodramas.

Eingestreute Kraftausdrücke - "Life is a shithole" oder "Kiss my ass" - und die derben Lebensweisheiten der schottischen Dienstmagd erinnern uns daran, dass wir es nicht mit einem Zeitgenossen von Oscar Wilde und Henry James zu tun haben, sondern mit einem modernen Autor.

Mamet hat von sich selbst gesagt, das Dialogeschreiben falle ihm leichter als das Erfinden einer plausiblen Handlung. Das ist ein zweischneidiges Talent, denn spätestens nach anderthalb Stunden ruft der vom Wortschwall des Kellners betäubte Gast nach dem Braten. Aber siehe da, nach anderthalb Stunden ist "Boston Marriage" auch schon vorüber.

Jörg von Uthmann

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