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Kultur: Lorin Maazel: Sprechender Fußtritt

Mit der Geige in der Hand erscheint er plötzlich ganz anders als der Mensch, den er in der Dirigentenrolle sonst gerne vorführt. Diszipliniert, fast demütig bemüht um Ton und Geist der Brahmsschen Violinsonaten steht Lorin Maazel, die Violine exakt waagerecht unters Kinn geklemmt, neben seinem Klavierpartner Yefim Bronfman und rührt sich für die Dauer eines Satzes nicht von der Stelle.

Mit der Geige in der Hand erscheint er plötzlich ganz anders als der Mensch, den er in der Dirigentenrolle sonst gerne vorführt. Diszipliniert, fast demütig bemüht um Ton und Geist der Brahmsschen Violinsonaten steht Lorin Maazel, die Violine exakt waagerecht unters Kinn geklemmt, neben seinem Klavierpartner Yefim Bronfman und rührt sich für die Dauer eines Satzes nicht von der Stelle. Da ist zunächst plötzlich gar nichts mehr von der selbstgefälligen Eleganz und dem tänzerisch zur Schau gestellten Temperament zu spüren, jener bei aller Aufdringlichkeit doch auch so erzmusikalischen Körperlichkeit, mit welcher der Dirigent Maazel sonst vom ersten Augenblick an das Publikum für sich zu gewinnen vermag. Ein Schock. Aber der zwingt einen zum Hören.

Oft klingen die Phrasierungen so steif und temperamentlos, wie sie aussehen, und es lässt sich auch nicht überhören, dass Maazel manchmal die Spannung nicht in dem Maße halten kann, wie es der wunderbare Brahms-Spieler Bronfman vermag, unter dessen Händen die ganze rhythmische und farbliche Bewegtheit des Klaviersatzes lebendig wird. Aber dennoch: so ein Auftritt ist alles andere als sinnlos und nicht nur der Eitelkeit geschuldet. Maazel verfügt über einen dunkel leuchtenden Geigenton, warm und etwas rauh, ein rechter Brahms-Ton, der auch steigerungsfähig ist - obwohl die letzte Raffinesse fehlt, weswegen gerade die sanfte G-Dur-Sonate einen eher blassen Eindruck hinterließ. Aber auch hier stach schon hervor, wie sehr Maazel einer klaren Artikulation verpflichtet ist, wie genau und überlegt er ab und zu auch portamenti einsetzt, wie geradezu allergisch er sie aber auch an anderen, immerhin möglichen Stellen, vermeidet. Das verleiht seinem Spiel, über die jederzeit spürbare Persönlichkeit hinaus, auch geigerisch Gewicht. Dennoch hätte dem Abend etwas gefehlt, wenn Maazel schließlich nicht doch noch, am Ende der d-moll-Sonate, nach einem im Duo-Spiel furiosen 1. Satz und dem Schreck verpatzter Doppelgriffe im Zweiten, zu einer befreiteren Körperlichkeit gefunden hätte und sich bei einer der dramatisch abreißenden Phrasen wenigstens einmal zu einem dirigentischen Fußstampfen hinreißen ließ. Da waren die zwei Persönlichkeiten dann doch wieder synthetisiert.

Martin Wilkening

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