zum Hauptinhalt
Berlin. Auf 21 Metern Seide hat der chinesische Künstler Lu Hao mit Tusche die Karl-Marx-Allee gemalt, zu DDR-Zeiten als Stalinallee Paraden- und Aufmarschort. Das Bild zeigt einen Ausschnitt.

© Courtesy Alexander Ochs Galleries/Susan Si

Lu Hao in Berlin: Ost-Rest-Achsen

Provisorisch, windig, leer: Das Museum für asiatische Kunst Dahlem zeigt Lu Haos Gemälde zweier Prachtstraßen aus Peking und Berlin.

Es gibt so viele folgenlose Tage. Verweht, ohne Spur, als wären sie nie gewesen. Am Abend des 16. Februar 2009 überkam den Berliner Andreas Kopietz das deutliche Gefühl, noch heute etwas Bleibendes schaffen zu müssen, etwas für die Ewigkeit, auch hatte er sich über das Fernsehprogramm geärgert. „Kurz nach 21.00 Uhr klickte ich Wikipedia an, um der Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichshain einen neuen Namen zu geben. Ich schrieb den Satz: ,Wegen der charakteristischen Keramikfliesen wurde die Straße zu DDR-Zeiten auch Stalins Badezimmer genannt.‘“ Das glaubt mir sowieso keiner, dachte er noch, hatte aber schon um 21.13 Uhr sein Weinglas versehentlich auf der Enter-Taste abgestellt.

Etwas aber hatte Kopietz übersehen: Gegen Ende der DDR waren viele Kacheln längst abgefallen. Wahrscheinlich handelte es sich um eine fliesenspezifische Form von Systemwiderstand, sie waren Zeugen zu vieler Paraden und Aufmärsche geworden. Richtiger hätte es „Stalins kaputtes Badezimmer“ heißen müssen.

Der Begriff schaffte es in kürzester Zeit auf die Seiten der Deutschen Bahn, verschiedener Touristikunternehmen, großer Journale und in Spezialmagazine zur Badezimmergestaltung. Eine Berliner Zeitung meldete im Februar 2011: „Wegen der gekachelten Fassaden nannten die DDR-Hauptstädter die Allee auch ,Stalins Badezimmer‘.“ Zur selben Zeit lief ein Chinese durch diese Straße, der sie, das dürfen wir behaupten, mit anderen Augen ansah als Chinesen das gewöhnlich in europäischen Hauptstädten tun.

Der Künstler malt die Straße auf 21 Metern Seide

Die vielen Fliesen hätten Lu Hao entmutigen können. Und doch meint man, sie auf seinen Bildern einzeln zu erkennen. Lu Hao ist ein Hochpräzisionskünstler. Der Marathonläufer unter den Malern.

Lu Hao, 1969 in Peking geboren, hat die Karl-Marx-Allee porträtiert, und zwar fast die ganze. Einmal die Südseite, einmal die Nordseite. Tusche und leichte Wasserfarben auf Seide, 30 Zentimeter hoch, 21 Meter lang, noch bis zum 17. Juni sind die Querrollen im Dahlemer Museum für asiatische Kunst zu sehen.

Jiehua heißt diese traditionelle Technik chinesischer Architekturmalerei. Nur malte Lu Hao die Straße mit allen Zufälligkeiten des Augenblicks, mit den provisorisch oberirdisch verlegten Rohrleitungen, mit den Graffiti an den Bauzäunen. Es ist eine fast fotografische Malerei, aber die Differenz könnte sinnfälliger nicht sein: Auf ein Foto gehören all die Vorläufigkeiten, auf einer Großmalerei wie dieser irritieren sie, werden zur Aussage – wenn das Porträt nicht zugleich wie eine Aussageverweigerung wäre, in seinem kühlen Registrieren des Tatsächlichen.

Lu Hao hat im Winter gemalt. Seltsamerweise machen gerade die kahlen, durchscheinenden Bäume dieses Bild einer Straße schön. Doch wie kommt ein Chinese darauf, die Karl-Marx-Allee zu malen? Die frühere Stalinallee sollte vieles beweisen, vor allem, dass der Sozialismus nicht nur die schöneren Menschen hervorbringt, sondern auch die schöneren Straßen. Waren die Champs-Elysées oder der Kurfürstendamm nicht gepflasterte Irrtümer des Konsums, bestenfalls notwendige Vorstufen zum sozialistischen Menschheitsboulevard?

Die Karl-Marx-Allee ist eine Geschwisterstraße der Pekinger Chang’an-Straße, der Straße des Ewigen Friedens, die ursprünglich kurz und eng war. Anfang der fünfziger Jahre begann sie, sich als Riesenschneise durch die Stadt zu fressen, streng von West nach Ost genau wie die Berliner Allee. Damit noch der Letzte sieht, wo die Sonne aufgeht. Andererseits ist es dort bestimmt genauso windig wie auf der Karl-Marx-Allee. Und so leer?

In der Mitte der Chang'an: der Platz des Himmlischen Friedens

Peking. Hier ist die Chang’an-Allee in Peking zu sehen, die Straße des Ewigen Friedens, die zum Platz des Himmlischen Friedens führt. Lu malte sie auf 50 Metern Seide.
Peking. Hier ist die Chang’an-Allee in Peking zu sehen, die Straße des Ewigen Friedens, die zum Platz des Himmlischen Friedens führt. Lu malte sie auf 50 Metern Seide.

© Sammlung Sigg, Schweiz

Jiehua ist eine gute Technik zur Darstellung von Windchill-Leere. 1940 gab es noch 8000 Tempel und Denkmäler in Peking, etwas später war in den „Tempel der gepflegten Weisheit“ eine Drahtfabrik eingezogen, im Tempel des Feuergottes wurden Glühbirnen hergestellt. Von den meisten aber blieb keine Spur, schon gar nicht, wenn sie der Chang’an im Weg standen. Die Chinesen nennen sie noch heute ihre „Prachtstraße“, mit dem Platz des Himmlischen Friedens in der Mitte.

2005 begann Lu Hao, die Straße des Ewigen Friedens zu porträtieren. Er brauchte 50 Meter Seide dafür, auch diese Rollbilder sind in der Dahlemer Ausstellung zu sehen. Die Chang’an-Allee fand nie die frühe Einheitlichkeit ihrer Geschwisterstraße, auch darum blieb sie am Leben, zwischen Aufbau und Abriss. Kein Chinese wäre je auf die Idee gekommen, sie „Maos Badewanne“ zu nennen.

Der Hauptarchitekt der Karl-Marx-Allee war Richard Paulick, Anfang der 1930er Jahre Assistent am Bauhaus Dessau. Er ging nach China ins Exil. Auch Hermann Henselmann, der den Strausberger Platz und das Frankfurter Tor entwarf, kam vom Bauhaus. Als die Arbeiterpartei seine ersten Entwürfe sah, belehrte sie ihn, dass die Arbeiterklasse nicht mehr in Notunterkünften, sondern in Palästen zu wohnen gedenke. So kam der Wedding- Cake-Stil nach Friedrichshain, auch sozialistische Klassik genannt. Jeder kleine König hat Säulen und Türme. Die wollte das Volk, der große König, jetzt auch. Wenn es sein musste, sogar gefliest.

Alles für das Volk

Der Herbst 1989 begann im Mai. Am 1. demonstrierte das Volk ein vorletztes Mal in der Karl-Marx-Allee missmutig an der Partei- und Staatsführung vorüber. Auf einem roten Spruchband stand in weißen Buchstaben, wie sich die SED die Rolle des Volkes dachte: „Alles mit dem Volk, alles durch das Volk, alle ... das Volk.“ Das Wort nach „alle“ ist nicht zu erkennen auf einem Foto des Amerikaners Edward G. Murray, ein riesiger Lautsprecher verdeckt es.

Auch Murray demonstrierte an diesem Tag versehentlich an der Partei- und Staatsführung vorbei, er war gerade auf der Flucht vor der Volkspolizei wegen illegalen Geldtauschs: „Die Menschenmenge ... geriet plötzlich in Bewegung … Ich dachte, die einzige Möglichkeit, Schwierigkeiten zu vermeiden, sei es zu fotografieren, als ob ich damit beauftragt sei.“ Am 1. Mai 1989 betraten die Chinesen die Chang’an längst so, wie es nie vorgesehen war: im eigenen Auftrag. Nur vierunddreißig Tage später strömten sie zum letzten Mal auf den Platz des Himmlischen Friedens.

„Lu Hao: Karl Marx und Ewiger Frieden: Bilder zweier Prachtstraßen in Peking und Berlin“, bis 17. Juni im Museum für asiatische Kunst Dahlem, Lansstraße 8.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false