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Kultur: Luc Tuymans im Interview: "Täter sind auswechselbar"

Ihre Ausstellung wird im Hamburger Bahnhof von Filmen Hans Jürgen Syberbergs begleitet, darunter "Hitler - ein Film aus Deutschland". Welche Bedeutung hat dieser Film für Sie?

Ihre Ausstellung wird im Hamburger Bahnhof von Filmen Hans Jürgen Syberbergs begleitet, darunter "Hitler - ein Film aus Deutschland". Welche Bedeutung hat dieser Film für Sie?

Syberberg ist einer der wenigen Deutschen, der sich als Künstler auf eine sehr persönliche Weise mit Hitler auseinander gesetzt hat. In dem Film spricht er an einer Stelle von dem "Hitler in uns". Für mich war wichtig, dass er die der kulturelle Basis des deutschen Faschismus hervorhob. Syberberg hatte sein Projekt eigentlich als Trilogie geplant, angefangen mit Ludwig II., dann mit dem von Hitler sehr verehrten Karl May und schließlich der Hitler-Film selbst. Die Idee Syberbergs, diesem Film durch einen ausschweifenden inneren Monolog, in dem es um Geschichte geht, eine epische Gestaltung zu geben, war für mich ein weiteres Kriterium. Die Kunst bietet die Chance, sich persönlich einzubringen. Dabei sollte man nicht vergessen, dass der Hitler auch ein verfehlter Künstler war.

Sie haben einmal gesagt: "Edward Hopper ist dafür berühmt geworden, eine Tankstelle gemalt zu haben. Ich könnte dafür berühmt werden, dass ich eine Gaskammer gemalt habe." Die erste Gaskammer, die je gemalt wurde.

Das war eine provokative Formulierung.

Sie hat Ihnen den Vorwurf eingebracht, den Skandal zu suchen.

Immer wieder werde ich gefragt, warum ich eine Gaskammer gemalt habe: Ja, warum denn nicht? Obwohl immer gesagt wird, der Horror sei zu groß, um vorstellbar zu sein und deswegen könne er nicht anschaulich gemacht werden.

Demnach gibt es kein Sujet, das nicht gemalt werden kann.

Richtig. Weil die Kunst ständig befragt wird, gibt es nichts, über das sie sich nicht äußern könnte. Aber Kunst sollte nicht nur moralisch betrachtet werden. Darum geht es auch in dem Bild "Gaskammer": Das Bild ist eine Metonymie, also Namensvertauschung. Ohne den Titel hätte das Bild längst nicht diese Bedeutung. Es löst sich durch den Titel eigentlich selbst auf. Wogegen ich mich wandte, war eine Art der Tabuisierung. Schließlich ist die Geschichte des Genozids sehr gut dokumentiert. Es gibt massenhaft Bilder davon. Mit Blick auf Syberberg sagte der Historiker Joachim Fest einmal: Man kann über die Geschichte nicht reden, ohne die Leichen zu zeigen. Das kann man - so finde ich - aber doch. Trotzdem ist dieses Bild ziemlich problematisch und wird es auch immer sein.

In der Ausstellung gibt es ein Bild von Heydrich, das ihn nicht in SS-Uniform, sondern im weißen Fechtanzug zeigt. Die Bildunterschrift bezeichnet ihn als ritterlichen Kämpfer, als Staatsmann und Jagdflieger. Was mich jedoch erstaunt, ist nicht so sehr, dass das Bild öfters für Ihr Selbstporträt gehalten wird, sondern dass sie das so gerne erwähnen. Fasziniert es Sie, sich mit dem Täter zu identifizieren?

Wenn man solche Bilder malt, entkommt man einer gewissen Faszination nicht. Jedem, der das Gegenteil behauptet, glaube ich nicht. Heydrich war überdies eine Ausnahmeerscheinung, wenn man sein Aussehen mit dem anderer Nazigrößen vergleicht. Ich erwähne die Verwechslung als schlechten Witz, aber dennoch als Witz. Es geht mir um die Auswechselbarkeit des Täters.

Heydrich trägt eine Sonnenbrille, die auchheute noch getragen werden könnte.

Geschichte ist für mich nicht nur Schwarzweiß, sondern sie hat auch Grautöne. Das von den Nazis in den besetzten Ländern vertriebene Heft "Signal" zum Beispiel ist eine höchst subtil gemachte Zeitschrift im Stil von "Paris Match". Es hat den Krieg wie einen Spaziergang dargestellt und eigentlich Werbung gemacht für den ganzen NS-Kriegsapparat - und das auf recht moderne Weise von heute aus gesehen.

Die darin abgedruckte Anzeigenreklame stammt von Firmen, die nach wie vor in Deutschland und weltweit aktiv sind.

Ja, ohne die Konzerne hätte es Adolf Hitler bekanntlich nicht gegeben. Es gibt ja auch in meinem Heimatland Belgien Beispiele für Kollaboration. Am stärksten wurde natürlich auf ökonomischer Ebene zusammengearbeitet.

Wie würden Sie die gesellschaftliche und politische Verantwortung definieren, die ein Maler heute hat?

Ich denke, dass ein Maler mehr als jeder andere Künstler eine widerständige Position einnimmt gegenüber repräsentierten Bildern. Ich frage mich, ob es nicht politischer wäre, dem Betrachter die Möglichkeit zur Kontemplation anzubieten. Er müsste sich etwas anschauen, vorstellen oder über etwas nachdenken, statt mit seiner eigenen Umwelt nur noch einmal konfrontiert zu werden. Die These, dass die Geschichte nicht mehr als Bedeutung eines Bildes in Anspruch genommen wird, führt dazu, dass man kein Gedächtnis mehr braucht. Ich würde stattdessen sagen: Gerade weil die zeitgenössische Kunst so unglaublich interaktiv und auf die Gegenwart bezogen ist, brauchen wir ein Gedächtnis. Und das ist eine politische Frage. In diesem Sinne ist Malerei nicht naiv, sie war es auch nie.

Was halten Sie davon, wenn jetzt sowohl im Hamburger Bahnhof als auch im Haus der Wannseekonferenz über die Bebilderung politischer Wirklichkeit diskutiert wird?

Ich denke, der Hamburger Bahnhof ist der Ort des Schauens und Vorstellens. Wenn hier über politische Themen gesprochen wird, ist das eine Art Werbung. Später wird das Ganze am Rand der Stadt weitergeführt, als eine Art Displacement. Es wird in einem Gebäude diskutiert, das historisch beladen ist wie ein Mahnmal. Meine Bilder werden gleichsam mittransportiert. Das ist ein Anachronismus, denn es bleibt - anders als bei den Protokollen der Wannseekonferenz - nichts zurück, und es wird kein Bild geben.

Ihre Ausstellung wird im Hamburger Bahnhof von Fil

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