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Kultur: Lüsterne Flatterer

Allegorische Bilder, dämonische Figuren: Der chinesische Maler Yongbo Zhao zeigt in der Zitadelle Spandau seine Retrospektive „Nicht nur schön“.

Normalerweise treffen die Fledermäuse in der Zitadelle Spandau später ein. Erst im Spätsommer und Herbst suchen sie sich in den alten Gemäuern ihr Winterquartier, eines der größten Europas. Dass sie sich jetzt schon früher hier tummeln, hat mit Yongbo Zhao zu tun. Der chinesische Künstler stellt in den Räumen der Bastion Kronprinz aus. Seine Fledermäuse hängen in Öl gemalt mit fettem Puttengesicht kopfüber und erschrecken als kleine Teufel und mit aufgerissenen Flügelhäuten den Papst. Zhao erzählt in seinen grotesken Gemälden von Machtmissbrauch, Bigotterie und der Menschen Dummheit. Es sind allegorische Bilder, in der eine dämonische Figurenwelt ihr Unwesen treibt. Da geht es manchmal so vulgär-derbe zu, dass ein Teil der großen Retrospektive „Nicht nur schön“ erst Besuchern ab 16 Jahren erlaubt ist.

Zhaos Vorbilder der Kunstgeschichte sind schnell ausgemacht: Bei Caravaggio leiht er sich das dramatische Licht, bei Francisco de Goya und Honoré Daumier den schmerzhaften kritischen Blick auf seine Zeitgenossen. Vor allem jedoch beherrscht er perfekt die altmeisterliche Malweise in erdigen Tönen. 1964 in der chinesischen Provinz Jilin als Sohn eines Gemeindeschullehrers geboren, wird sein zeichnerisches Talent früh gefördert. Mit 22 Jahren erhält er einen Lehrauftrag für abendländische Malerei, er gewinnt einen wichtigen Staatskunst-Preis. Doch Zhao will endlich die europäischen Meister, die er so verehrt, im Original sehen. 1991 fährt er nach Deutschland, studiert an der Münchner Kunstakademie. Und bleibt. Bis heute. Seine Herkunft kommt in seinen Arbeiten immer wieder zum Vorschein. In „Toys“ von 2008 erscheint Mao als Viehhändler auf einem Dreirad, die Enten hängen stranguliert an seinem Lenker und tragen Zhaos eigenes Konterfei. Das ist typisch für Zhao. Mal integriert sich der Künstler als feixender, verhöhnender Kommentator des Geschehens, mal ist er mittendrin, als Symbol des kleinen, unterdrückten Mannes.

Zhao ist ein Geschichtenerzähler, der viel Aufmerksamkeit verlangt. Sonst würde einem möglicherweise entgehen, dass die Zwergenmänner in „Macht – Der Böse“ von 2012 nicht nur von einem unschuldig dreinblickenden Riesen über ein Stolperseil in eine Grube geschubst werden. Sie haben Stöcke in den Händen und ihre Augenschlitze leuchten weiß. Offensichtlich sind sie blind. Und hilflos. Zhaos Figuren sind immer in subtiler Wechselwirkung miteinander verstrickt und spiegeln so komplexe, globale Machtgefüge wider. Ein lüsterner Flatterer saugt an der nackten Brust einer allegorischen Mutter Erde, in seinen Krallen hält er die „Stars and Stripes“ der Vereinigten Staaten. Doch im halb verschatteten Hintergrund warten schon die anderen Dämonen jeweils mit Flaggen: auf der einen Seite die europäischen, auf der anderen die von China und Japan. Sie alle konkurrieren um die endlichen Ressourcen.

Immer wieder taucht in Zhaos Bildern ein feister Krötenmensch auf. Er lässt sich seinen Wanst halten und bejubeln. Dann wieder versuchen kleine Männchen ihn mit Schippen unter die Erde zu bringen. Ist der Kröterich nun eine Anspielung auf den chinesischen Sozialismus oder den westlichen Kapitalismus? Zhao lässt beide Sichtweisen zu – je nach dem, wen er vor sich hat und ob er sich in China oder Europa befindet. Das mag beliebig klingen, hat aber eine eigene Logik. Yongbo Zhao, der distanzierte Beobachter, kann jedem System etwas Schlechtes abgewinnen. Anna Pataczek

Zitadelle Spandau, Am Juliusturm 64, bis 15.9., Mo-So 10-17 Uhr

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