zum Hauptinhalt

Lützowstraße forever: Das Kumpelnest 3000: Die Amüsiermaschine

Das Kumpelnest 3000 in der Lützowstraße ist zweite Heimat für Stricher, Stars, Nutten und Notare – seit 25 Jahren.

Das erste Bild, das ich vom Kumpelnest 3000 im Kopf habe, ist rotes Blut auf wasserstoffblondem Haar. Das Kumpelnest eröffnete während der Krawalle am legendären 1. Mai 1987, in jener Nacht, als Bolle am Görlitzer Bahnhof abbrannte. Max Müller, der Sänger und Gründer der Band Mutter, die damals noch Campingsex hieß, hatte während der Plünderungen einen Schlagstock über den Schädel bekommen. Er ließ sich die Eröffnung trotz Gehirnerschütterung nicht entgehen. Er sah toll aus. Seine Erscheinung schien passend für diesen Laden, dessen Name Sex, Freundschaft und Exzess ausstrahlte – die Geschwindigkeit, mit der die apokalyptischen Rennwagen in Roger Cormans Trashfilm „Death Race 2000“ über verlassene Highways jagen, nur tausend Meilen schneller.

Der Name des Lokals stammte von dem kanadischen Model, Go-go-Tänzer und Künstler David Steeves, der Zusatz 3000 von meinem Freund Nikolaus Utermöhlen, der gemeinsam mit Wolfgang Müller und Käthe Kruse die Tödliche Doris war. Natürlich war diese Mischung aus Schrulligkeit und futuristischer Übertreibung eine Antithese zur Vorstellung von Zeitgeist und Modernität, die damals in der West-Berliner Szene mit ihren neonhellen Bars und Klubs herrschte. Das Experiment, das der Kunststudent Mark Ernestus als Abschlussarbeit zu seiner HdK- Prüfung begann, glich einem Readymade. Er beließ das plüschige Ambiente in dem pleitegegangenen Club Maitresse in der Lützowstraße so, wie er es vorgefunden hatte: die nikotingeschwängerten Teppiche an den Wänden, die abgewetzten Barhocker, die kleine Animier-Bar vor der Küche, in der die Nutten ihre Freier bedient hatten. Das Personal rekrutierte sich aus Ernestus’ Freundeskreis, der sich in dem Punk-Lokal Risiko an den Yorckbrücken und im Umfeld der Genialen Dilettanten rund um die Tödliche Doris gebildet hatte. Nach dem Ende des Risiko waren die Neubauten- und Cave-Fans ins Ex ’n’ Pop weitergewandert, während sich im Kumpelnest eine neue Szene formierte, die einen offensiv campen Gegenpol zum heterosexuellen Rock-Pathos bildete.

Jede Geste, jeder Look, jedes Detail zählt

Nicht umsonst lautete das Kumpelnest-Motto: „Gegen Spitzenleistungen in der Gastronomie.“ Von Anfang an war alles in diesem Laden Performance. Jede Geste, jeder Look, jedes Detail, das der Einrichtung zugefügt wurde, zählte. Dazu gehörte auch der Musikmix, der von Throbbing Gristle oder White Noise über Deep House, Sal-Soul Disco bis zu Daliah Lavi reichte. Aber auch die Details, die Reinhard Wilhelmi bis heute gestaltet: Altäre aus Dildos, Porzellanfiguren, Texten, Collagen, die er hinter der Bar installiert, die Fundstücke von türkischen Läden und Flohmärkten, mit denen er den Raum in eine sich beständig wandelnde Installation verwandelt.

Die Leute hinter der Bar glichen damals den Superstars in Warhols Factory: Valerie und Kathy, die als Künstlerinnen und Callgirls arbeiteten. Gunter, der als gehörloser Barkeeper die Sex Pistols liebte und das Kumpelnest sehr prägte: Manchmal war der Laden knüppelvoll und dennoch kaum ein Wort zu hören, weil viele der Gäste sich nur in Gebärdensprache unterhielten. Ich war ständig da. Doch es sollte dauern, bis ich auf die andere Seite des Tresens wechseln konnte. Wer dazugehören durfte, wurde von einem Hofstaat aufgenommen, in dem die Fraktionen und Meinungen täglich wechselten: zu Kunst, Filmen oder poststrukturalistischer Theorie, aber auch zu den Menschen, die man bediente, mit denen man arbeitete.

Baudrillard, Biolek - und Patrick Lindner

Tanzen, trinken, rauchen, abstürzen. Das Kumpelnest hat sich seit dem 1. Mai 1987 kaum verändert.
Tanzen, trinken, rauchen, abstürzen. Das Kumpelnest hat sich seit dem 1. Mai 1987 kaum verändert.

© Kilian-Davy-Banjart

Das Kumpelnest war snobistisch, bis zur Unerträglichkeit arrogant – und radikal demokratisch. Während die Barkeeper nackt oder gar nicht bedienten oder die Gäste arbeiten ließen, durfte jeder rein: Stricher, Stars, Nutten und Notare. In den Anfangsjahren habe ich das Kumpelnest wie eine hedonistische, von Drogen und Alkohol angetriebene Denk- und Amüsiermaschine erlebt. Wenn man am frühen Abend kam, roch es nach altem Rauch, Kaffeesatz und fauliger Zitrone. Doch dann sprang der Motor an. Gäste wie der Kulturjournalist Harald Fricke, Redakteure des benachbarten Tagesspiegels oder die Verleger des Merve Verlags diskutierten hier. Szenegänger, Obdachlose und Prominente stießen hinzu. Das Kumpelnest war extrem – wohl der einzige Ort der Welt, an dem man Jean Baudrillard, Gitte, Alfred Biolek, Heiner Müller, Anne Will, Tom Kummer oder Patrick Lindner treffen konnte. Auch Karl Lagerfeld entdeckte das Kumpelnest und fotografierte dort Gunter neben Claudia Schiffer.

Die Tödliche Doris arbeitete in Miniröcken und füllte den Laden mit Kunstnebel. Mitten in der Nacht musste Nikolaus mit Hexenschuss und rotem Röckchen in embryonaler Haltung ins Krankenhaus transportiert werden. Wolfgang und ich starteten die Ausstellungsreihe „10 Tage im Leben“, bei denen jeder Abend von einem anderen Künstler gestaltet wurde, etwa auch von Marc Brandenburg. Er begann fast zeitgleich mit mir hinter der Bar zu arbeiten. Die Menschentrauben vor dem Laden wurden größer, Flaschen flogen aus den Fenstern der Anwohner. Reisegruppen strömten. Welten prallten aufeinander: Marc, der bei der Arbeit eine mit Nieten gespickte Ledermaske und Nadelstreifenanzug trug, bediente schwäbische Männergruppen in Bequemschuhen. Die Mauer fiel, die Szene, vor allem die Kunstszene zog es nach Mitte. Nikolaus erkrankte an den Folgen von HIV.

Tanzen, reden, rauchen

Eine der Ersten, die ging, war Sabina. Sie nahm die Kasse mit und verschwand nach New York. Sie schickte uns eine Postkarte mit einer Boeing, aus der Geldscheine flattern. Mark Ernestus nahm es gelassen, wie alles. Mit den Einnahmen des Kumpelnests hatte er bald den Plattenladen „Hard Wax“ eröffnet und mit Moritz von Oswald Basic Channel gegründet, eines der progressivsten deutschen Techno-Labels der 90er.

Das Kumpelnest selbst ist sich treu geblieben. Es widersteht beharrlich jeder Konvention. Auch wenn die Gastronomie vielleicht etwas gepflegter ist, ist dies nach wie vor ein Ort, an dem sich die unterschiedlichsten Menschen treffen, um zu tanzen, reden, rauchen, einander abzuschleppen und gemeinsam abzustürzen.

Der Autor war von 1989 bis 1999 Barkeeper im Kumpelnest 3000 (Lützowstraße 23, Tiergarten). Heute ist er Kunstjournalist und betreibt den Projektraum September in der Adalbertstraße. Zum Jubiläum veranstaltet das Kumpelnest ab 26. 4. einen Party-Countdown, am 1. Mai steigt die große Geburtstagsparty mit Zazie de Paris, Rummelsnuff und Gérôme Castell. Weiteres unter www.kumpelnest3000.com.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false