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Kultur: "Lumumba X": So sehen Machtwechsel aus

Am 30. Juni 1960 wurde Patrice Lumumba zur Legende.

Am 30. Juni 1960 wurde Patrice Lumumba zur Legende. Es war der Tag, an dem der belgische König Baudouin den Kongo in die Unabhängigkeit entließ. Der König lobte die Segnungen des Kolonalismus, der Fortschritt und Zivilisation fördere. Jetzt müssten sich die Schwarzen beweisen, dass sie etwas gelernt hätten. Der König schenkt den Schwarzen einen Staat. Kein anwesender schwarzer Politiker wagte zu widersprechen. Nur einer, der nicht auf der Rednerliste stand: Patrice Lumumba (Eriq Ebouaney), Premier der Landes, eilt zum Pult und spricht das Verschwiegene aus: "Wir mussten morgens, mittags und abends Beleidigungen und Schläge erdulden, einfach weil wir Neger waren." Ein leuchtender Augenblick, in dem das Wort über die Macht zu triumphieren scheint. Einer gegen alle. Wir ahnen, dass so der Untergang beginnt.

Raoul Peck hat diese Sequenz verhalten pathetisch inszeniert, als magischen Moment, als Echo von Martin Luther Kings "I have dream"-Rede. In Zwischenschnitten sehen wir, wie sich, während die Rede übertragen wird, weiße Polizisten abwenden und Farbige um das Radio scharen. So sehen Machtwechsel aus.

"Lumumba" ist, was man großes Kino nennt. Wir sehen opulente Landschaftspanoramen, Orchestermusik schafft Gefühlsräume, in denen sich die Tragödie entfaltet. "Lumumba" ist der paradoxe Versuch, hollywoodlike politische Aufklärung zu schaffen. Das Kino ist ein Ort der Regression, des Traums. Für historisches Bewusstsein taugt es nur bedingt. Peck versucht, eleganter als Spike Lees "Malcolm X", den Bogen zwischen Ratio und Traum, Geschichte und Legende zu spannen. Dass dies halbwegs gelingt, hat einen Grund: Die Fakten selbst haben etwas Mythisches. Als der Autodidakt Patrice Lumumba 1960 Premier wurde, hatte er einen Schreibtisch, ein paar Freunde, guten Willen und eine Idee: dass die Nation einig und unabhängig sein sollte. Im Kongo, einem Land so groß wie Westeuropa, unterstützte Belgien militärisch den Separatisten Tschombe in Katanga. Es gab keine schwarze Elite, keine Verwaltung, eine Armee, die von einem Belgier befehligt wurde und eine revoltierende schwarze Soldateska. Ein paar Wochen später intervenierten Uno-Truppen - gegen Lumumba. Die CIA und der belgische Geheimdienst heuerten Killer an, die den Premier töten sollten, die Briten planten einen Putsch. Der liberale Lumumba wurde, im Namen von freedom & democrazy, zum Kommunisten erklärt. Er flog nach Washington, um klar zu machen, dass das ein Irrtum sei. Vergeblich. Es ging nicht um Ideologie, nur um Willfährigkeit.

Einer gegen alle - das ist nicht nur der Plot, es ist historischer Fakt. "Alles ist wahr, nichts erfunden" sagt Regusseur Raoul Peck über seinen Film: Das mag allen im postmodernen Diskurs Geschulten ziemlich unterkomplex erscheinen. Falsch ist es nicht. Viele Szenen hat Peck detailgenau Fotos und dokumentarischen Aufnahmen nachgestellt. Die Fakten drängen zur Ikone.

Ist "Lumumba" nur ein Film über Historie? Ein perfektes Märtyrerbild, eine tröstliche Erklärung für das postkoloniale Elend? Der Film zeigt die Friktionen im Kongo, verschweigt weder Afrikas Anteil an der Katastrophe noch die Schattenseite seines Helden: die Unfähigkeit, das Notwendige dem Richtigen vorzuziehen. Gewiss zielt "Lumumba" auf die Reaktualisierung einer Legende. Kein Begriff von der Gegenwart ohne Vergangenheit, kein kollektives Selbstbewusstsein ohne Mythos. Bei der Vorstellung des Films im Haus der Kulturen sagte Peck: "Ich wollte einen Film machen, in dem wir uns erkennen können. Einen Film, der unsere Geschichte rettet." Der Regisseur ist in Haiti geboren, im Kongo aufgewachsen. Er wohnt in Paris, Film hat er in Berlin studiert. Unter Aristide war er in Haiti Kulturminister. Er verkörpert den Typus eines polyglotten Intellektuellem, der hier zu Lande selten ist: jemand, der Engagement eher mit Popularität als mit Fundamentalopposition zu verbinden sucht. So sieht der Film auch aus. In den USA ist "Lumumba" erfolgreich, in Deutschland hat er nicht mal einen kommerziellen Verleih.

Stefan Reinecke

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