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Kultur: Luxus aus Pappe

Wenn eine Stadt wie Lagos, die Hauptstadt Nigerias, seit 1980 von zwei auf 15 Millionen Einwohner wächst, degeneriert urbanes Leben. Statt visionärer Architektur breitet sich globaler "Junkspace" aus, wie der Philosoph der Zunft, Rem Koolhaas die hässliche, chaotische Anhäufung von Raum zwischen "Aufzügen und Aircondition" beschreibt.

Wenn eine Stadt wie Lagos, die Hauptstadt Nigerias, seit 1980 von zwei auf 15 Millionen Einwohner wächst, degeneriert urbanes Leben. Statt visionärer Architektur breitet sich globaler "Junkspace" aus, wie der Philosoph der Zunft, Rem Koolhaas die hässliche, chaotische Anhäufung von Raum zwischen "Aufzügen und Aircondition" beschreibt. Deshalb hat sich die "Plattform 4" der Documenta in Lagos auch gerade erst mit der Entwicklung von afrikanischen Städten beschäftigt.

Diese Metropolen dienten Städteplanern des Modernismus als Laboratorien für Versuche, traditionelle Elemente mit innovativen Technologien zu verbinden. So entstand ein tropischer Kolonialstil aus weißen Wänden und bunten Ornamenten. Das surreale Moment, das dem Mix aus einheimischen Mustern und International Style anhaftet, erlebt bei Bodys Isek Kingelez eine phantastische Übersteigerung. Der 1948 im Kongo geborene Künstler, der in Kinshasa arbeitet, baut aus Papier, Sperrholz, Kartons, Spiegelfolien und anderen Materialien Modelle von Städten, deren farbleuchtende Magie sie zu einer Art exotischem Disneyland machen.

Seitdem er seine "extremen Modelle", wie er sie nennt, 1989 in der Ausstellung "Magiciens de la Terre" zeigte, stieg Kingelez zu einem der berühmtesten Künstler seines Kontinents auf. Nichts weniger als "Paradiese auf Erden" will der frühere Masken-Restaurator mit architektonischen Simulationen wie der "Ville Fantôme" von 1995/96 entwerfen. In glückverheißenden Wohnutopien wie "Papillon de la Mer" und "Kinshasa La Belle" versöhnt Kingelez die Stilgeschichte der europäischen Moderne mit Formerfindungen seiner Heimat. Für den Künstler sind alle 3014 Werke, die er entworfen hat, revolutionäre Symbole von Frieden und Freiheit. Seine urbanen Imaginationen gleichen verlockenden Versprechen, die er durchaus real meint. Immerhin existieren ähnliche Paläste bereits "an allen Ecken Afrikas", wie Documenta-Leiter Okwui Enwezor im Katalogbeitrag feststellt, errichtet von exzentrischen Träumern in Eigenregie.

Auch Bodys Isek Kingelez ist ein Schwärmer, doch gleichzeitig reflektiert er das Erbe der neokolonialistischen Zähmung des afrikanischen Kontinents. In Konstruktionen wie der Hommage an seine Geburtsstadt scheinen Las Vegas und Oskar Niemeyers Brasilia zu übermütigen "Schmuckprototypen" zu verschmelzen. Selbstbewusst setzt Kingelez die luxuriösen Idealmetropolen "auf die Siegerliste der Großstädte dieses Erdballs". Wenn die Animations-Environments im Hollywoodformat, die Walt Disney erfand, von amerikanischen Städteplanern inzwischen zu urbanen Zukunftsmodellen erklärt wurden, so können die Imaginationen von Bodys Isek Kingelez als afrikanische Visionen humaner Architektur gelten.

Eva Karcher

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