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Kultur: Luxus für (fast) alle

Art Déco bildete in den zwanziger und dreißiger Jahren den ersten weltumspannenden Stil in Kunst und Design. Das Londoner Victoria & Albert Museum widmet ihm eine angemessen opulente Ausstellung

Historische Parallelen werden in Umbruchzeiten gern gezogen, auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt. So waren die zwanziger und dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine Zeit heftigster Krisen, politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art – und doch, wenn auch von Land zu Land verschieden, gab es einen verbindenden kulturellen Ausdruck voller Optimismus und Lebensfreude. Es handelt sich um jenen Stil der visuellen Künste, der mit dem Begriff „Art Déco“ näherungsweise beschrieben ist, und der das Lebensgefühl durchaus nicht nur einer schmalen kulturellen Elite in Frankreich, Großbritannien und den USA prägte.

Dass Art Déco in Deutschland nicht heimisch geworden ist, hat mehrere Gründe, deren wichtigster und bedrückendster der Siegeszug der Nazis und der Zerfall der Weimarer Republik ab 1929 ist. Aber es gibt eine weitere, im Bereich der Kultur selbst angesiedelte Ursache: Deutschland ist die Heimat der Neuen Sachlichkeit, des Neuen Bauens und des Bauhauses, also all dessen, was aus heutiger Sicht als die spezifische Moderne der Zwischenkriegszeit erscheinen will.

Nur war diese Moderne tatsächlich eine Minderheitenkultur. Im Ausland galt sie zudem als Ausdruck der kulturellen Verarmung eines verfemten, im Weltkrieg unterlegenen Landes. Ihre anhaltende Wirkung sollte diese Moderne erst nach dem Zweiten Weltkrieg entfalten.

Art Déco hingegen ist Opulenz, Luxus, Reichtum an Farben und Formen und damit meilenweit von jenem nüchternen Funktionalismus entfernt, der sich unter der Bauhaus-Parole „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ versammelte. Nicht allein Paris, auch London hat ein reiches Erbe an Art-Déco-Architektur, nicht ganz so auffällig wie Miami Beach und nicht so prominent wie New York, aber vielfältig genug, um innerhalb des Kontinuums britischer Kulturgeschichte präsent geblieben zu sein. So liegt es nicht fern, dass das dem Kunstgewerbe im weitesten Sinne gewidmete Victoria & Albert Museum (V&A) den Sommer über mit einer Ausstellung aufwartet, die schlicht und umfassend „Art Déco 1910–1939“ betitelt ist. Sie vermeidet damit nebenbei alle unangenehmen Assoziationen, die noch ihre Quasi-Vorgängerausstellung des Arts Council von 1979 verursachte, die den politisch anstößigen „Thirties“ gewidmet war.

Nein, Politik und Gesellschaft, Wirtschaftskrise, Faschismus oder Bolschewismus kommen in der Ausstellung des V&A nicht vor. Sie ist, der Eigenwerbung zufolge, die bislang weltweit umfassendste zum Thema. Beim Publikum kommen die in drei große Säle dicht, bisweilen allzu dicht gepackten 330 Objekte vom Möbel bis zur Abendrobe glänzend an. Ein unablässiger Strom von Besuchern schiebt sich durch den verwinkelten Parcours, der auch ohne entsprechende Hinweisschilder einzig als Einbahnstraße zu bewältigen ist.

Die Ausstellung ist wohltuend klar gegliedert. Sie zeigt zunächst an einigen wenigen Objekten die Quellen dieses eklektischen Stils, dessen Protagonisten sich wahlweise in der Antike, bei den modernen Tendenzen von Kubismus bis Futurismus, in der außereuropäischen Exotik oder am besten bei allem zusammen bedienten. Außereuropäisches stand besonders hoch im Kurs. Es sei daran erinnert, dass Frankreich und Großbritannien Kolonialmächte waren, die die größte Ausdehnung ihrer Imperien erst nach dem Ersten Weltkrieg erfuhren und diesen Besitz in groß angelegten „Kolonialausstellungen“ in ihren Hauptstädten vorführten.

Das verbindende Anfangsereignis allerdings war die Pariser „Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes“ von 1925, deren Ziel vor allem darin bestand, die Pariser Luxusproduktion an Mode und Möbeln als weltweit tonangebend zu verankern – und den Modernismus vorwiegend deutscher Provenienz auszustechen.

Stehen die handgefertigten Luxusobjekte vorzugsweise aus kolonialen Hölzern und exotischen Materialien anfangs für eine nonchalante Gleichgültigkeit gegenüber dem Industriezeitalter, so kam Art Déco – der Begriff wurde erst in den sechziger Jahren geprägt – später in den USA umgekehrt den Bedürfnissen der Konsumgüterindustrie entgegen. Stromlinienförmige Haushaltsgeräte, Radios oder Autos bildeten die Leitmotive für einen durch Reklame und vor allem das Kino forcierten Privatverbrauch. Der Film feierte in den depressiven dreißiger Jahren seinen Triumph als Traumfabrik, bei dem Produkt – die Filme selbst – und Verpackung – die überreich dekorierten Kinopaläste – eine ungemein massensuggestive Einheit bildeten.

Zwischen diesen beiden Polen steht, wie stets in der Mitte, Großbritannien mit seinen gemäßigten Formen von Art Déco. Eine Hauptattraktion der Ausstellung bildet das 1969 in buchstäblich letzter Sekunde vor dem Abriss gerettetes Foyer des Londoner „Strand Palace“-Hotels, das erstmals in seinem ganzen Lichterglanz wieder aufgebaut werden konnte – wenn auch der Raum im V&A zu eng ist, um ihm seine durch Fotografien überlieferte Strahlkraft zurückzugeben.

Breiten Raum hingegen gewährt die Ausstellung dem Reisen, vor allem dem Überseeschiffsverkehr. Luxusliner wie die französische „Normandie“ brachten die Zeitvergessenheit der Jeunesse dorée auf den Punkt: ein schöner Aufenthaltsort für schöne Menschen unter wolkenlosem Himmel, jenseits von Ort und Zeit. Aber auch die noch zaghafte Tourismuswerbung orientierte sich an den Traumbildern ewiger Unbeschwertheit. Dass unter den Plakaten nicht nur das bekannte Eisenbahnmotiv von Cassandre zu bewundern ist, sondern auch eines von „Intourist“ für „Soviet Armenia“ wirbt und zwar 1936 (!), gehört zu den Kuriositäten, die über die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen nachsinnen lassen.

Ein eigenes Kapitel bildet das Art Déco in exotischen Ländern. Vor allem indische Maharadschas fanden Geschmack an den wuchernden und gezackten Formen, wovon ein silberbeschlagenes Bett aus Jodhpur beredtes Zeugnis ablegt. Die macht-, aber mitnichten mittellosen Potentaten hatten die Resourcen, ganze Paläste in indoeuropäischem Mischmasch errichten zu lassen. Aber auch Japan und Lateinamerika adoptierten diesen ersten wahrhaft weltumspannenden Stil.

Wird die Pariser Ausstellung von 1925 in London angemessen gewürdigt, so kommt die New Yorker Weltausstellung von 1939 ein wenig zu kurz. Sie markiert schließlich das abrupte Ende von Art Déco. Die dort vorgeführten Visionen von Wohlstand und technischem Fortschritt für jedermann zerstoben mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Eine Generation zahlungskräftiger Luxuskonsumenten, die bis dahin das Stilempfinden geprägt hatte, kam auf den bitteren Boden der Tatsachen zurück.

So ist der Besucher dann, nach geraumer Zeit zwar, aber doch schneller, als die schiere Opulenz der Objekte es erwarten lässt, durch die Ausstellung hindurch – und landet im mindestens ebenso reichhaltig bestückten Museumsshop. Nun gut. Ein Muss allerdings ist der Katalog. Er ist eine üppig bebilderte, 464 Seiten dicke Pracht – und dank kluger Texte zugleich wohl das auf lange Zeit gültige Handbuch zum Thema.

London, Victoria & Albert Museum, South Kensington, bis 20. Juli. Katalog 24,95 Pfund. Mehr unter: www.vam.ac.uk/visiting

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