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Kultur: Lymphen & Nymphen

Die Tanzfabrik wird 25 Jahre alt – ein Rückblick auf bewegte Zeiten in der Kreuzberger Szene

Von Sandra Luzina

Es war das Jahr 1978 – und das allein reicht schon für einen Gründertyp. Erinnern wir uns: 1978 wurde die Alternative Liste aufgestellt, die erste Ausgabe der „taz“ erschien. Und in einem Kreuzberger Hinterhof wurde eine neue Bewegung aus der Taufe gehoben: die Tanzfabrik. Sie startete als Kollektiv und ist damit ein typisches Produkt der Siebzigerjahre. Leben und Arbeiten unter einem Dach, das erschien damals als machbare Utopie. Dieter Heitkamp hatte Sport studiert, Claudia Feest Biologie. Die Deutschen brachten den Idealismus und die Selbsterfahrungsdoktrin mit, die Amerikanerinnen Christine Vilardo und Jacalyn Carley den Pragmatismus und die fundierte Tarifkenntnis.

Eine Fabriketage in der Mörickestraße, am Fuß des Kreuzbergs: Die Adresse stimmte, der Ort war verheißungsvoll. An einem kalten Winterabend 1980 besuchte ich erstmals das neongelbe Tanzstudio mit den weiß gekalkten Wänden und dem selbstgebauten Schwingboden. Hier konnte man sich fühlen wie in einem New Yorker Loft. Ein paar Leute, die so gar nicht nach Tänzern aussahen in ihren Jogginghosen, tobten mit Verve durch den Raum. Keine Tanzfiguren waren zu erkennen, aber die Energie sprang einen an. Ich wusste nicht, was sich da eigentlich abspielte, aber es war schön und wild und ziemlich spontan. Ich hatte eine Contact Improvisation gesehen, wurde mir später erklärt. Die Tanzfabrik war wohl der erste Ort in Deutschland, wo dieser Improvisationsstil unterrichtet wurde.

Hier trafen sich alle, die mehr als nur diskutieren wollten, hieß es in einem „taz“-Artikel über einen Improvisationsabend. Und das waren viele. Wir legten also den Adorno oder den Walter Benjamin aus der Hand und gingen zum Workshop oder zum Modern-Dance Kurs. Dietmar Kamper verkündete es in dem legendären Suhrkamp-Band „Die Wiederkehr des Körpers“. Der Körper wurde als privilegiertes Medium der Befreiung entdeckt. Und die Tanzfabrik – Laienschule und professioneller Aufführungsort zugleich – war der richtige und einzige Platz für diese Emanzipation. Im Rückblick kann man behaupten, dass die Tanzfabrik wohl die intellektuellste und belesenste Klientel besaß. Und die schwang auch schon mal den Lappen beim Frühjahrsputz. Engagement wurde damals groß geschrieben. Da saß auch der damalige Kultursenator Volker Hassemer im Studio 1 im Publikum, man munkelte, dass er auch an Kursen teilnahm.

Ende der Achtziger kam etwas anderes in Mode: das Body-Mind-Centering. Die Lehrenden redeten nur noch von Körpersystemen, die Schüler wurden aufgefordert, mit der Lymphe zu tanzen – oder mit der Gebärmutter. Das war dann der Punkt, wo ich den Tanzfabrik-Gurus erstmals die Gefolgschaft verweigert habe. Auch intern klappte es nicht mehr mit dem Ausbalancieren der verschiedenen Interessen. Die Verteilungskämpfe wurde heftiger, die Fördergelder schrumpften. Das Kollektiv zerbarst – mit lauten Krach. Nach dem Mauerfall fand sich die Tanzfabrik zudem in einer Randlage wieder.

Die Gründungsväter und -mütter betanzten nach der schmerzlichen Trennung ganz unterschiedliche Felder. Dieter Heitkamp ist seit 2001 Professor für zeitgenössischen Tanz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt. Er trägt die Haare immer noch karottenrot. Und hat immer noch die alte Wut im Leib: dass Berlin für seine innovativen Konzepte nicht reif war. Jacalyn Carley glückte der so konsequente wie ungewöhnliche Wechsel ins schreibende Metier. Vor kurzem hat sie ihr zweites Buch publiziert. „Almas Tanz“ spielt in der Tanzszene und sorgte bei manchen Lesern für einen späten Schock. Man kann da unter anderem nachlesen, wie ein Off-Szene-Choreograf die unbegabten Teilnehmer seiner Modern-Dance-Klasse mit Pastasorten vergleicht. War ich eine dieser zerkochten Nudeln? Oder eine zähe Vollkornspirale? Das muss man sich jetzt fragen, wenn man auf die eigene bewegte Vergangenheit zurückblickt. Eigentlich sahen wir aber doch toll aus damals, oder?

Der Szene-Biotop in der Möckernstraße ist bunter heute. Die Tanzfabrik hat mittlerweile so manche interne Reform hinter sich und immer noch einen unverkennbaren Alternativ-Charme und Modellcharakter: Denn sie ist zugleich Produktionsort, Aufführungs- und Diskussionsort. Sie ist weiterhin eine Anlaufstelle und Kontaktbörse für Tänzer aus aller Welt. Die Spitze der Bewegung, das Zentrum des Bebens ist sie freilich nicht mehr. Andere Orte wie die Sophiensäle wurden zum hot spot, Choreografen wie Sasha Waltz oder Constanza Macras heißen die neuen Stars und erfreuten sich eines Medienrummels, wie man ihn sich nie vorstellen konnte zu den Hochzeiten der Tanzfabrik.

25 Jahre Tanzfabrik. Das wird nicht mit einer großen Gala wie der 20. Geburtstag gefeiert, sondern mit einem klug konzipierten Programm, das zum Erinnern einlädt, sich aber vor Verklärung hütet. In „reConstruction - new Production“ treffen Tanzfabrik-Hits aus den Achtzigern auf Choreografien von heute. Jacalyn Carley, Dieter Heitkamp und Helge Musial sind im Rückblick als die dominierenden Tanzfabrik-Choreografen erkennbar. Wie weit Stücke wie „Ernst Ernst - Jandl Gedichte vertanzt“ oder „Rapid Eye Movement“ Maßstäbe setzten, kann man nun bei der Neueinstudierung überprüfen. Die jüngeren Choreografen Martin Nachbar, Andreas Müller, Ingo Reulecke und das Duo Günther Wilhelm/Mariola Groener werden eigene Arbeiten beisteuern. Sie haben erst gar nicht versucht, in die Fußstapfen der Vorgänger zu treten, sie machen selbstbewusst ihr eigenes Ding.

Mit Claudia Feest verabschiedet sich im November dann auch die letzte der Gründermütter. Eva Maria Hoerster, die neue Leiterin, hat sich bereits mit dem kleinen Festival „The Pleasure of dance“ eingeführt. Mit 125000 Euro Spielstättenförderung jährlich kann man keine großen Sprünge machen, das weiß sie. Doch sie hat neue Ideen, will neue Kräfte an die Tanzfabrik holen, die internationale Vernetzung weitertreiben, das Fortbildungsprogramm weiter profilieren, und so könnte die Tanzfabrik durchaus ein dezentrales Tanzhaus werden.

Lange Zeit hatte ich keinen Fuß mehr in die Tanzfabrik gesetzt. Beim Besuch der „Werkbank total originärer Tanz“ fand ich es beruhigend, dass hier noch relativ unberührt von Vermarktungszwängen herumexperimentiert wird. Schöner Anachronismus!

Programm 1: 15./16. und 22./23. November, Tanzfabrik, 20 Uhr. Programm 2: 27.–30.11., Sophiensäle, 20 Uhr .

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