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Kultur: Mach mit mir, was du willst

Jazz ist Intelligenz ohne Bildung: Der Fotograf William Claxton bringt sein legendäres Buch „Jazzlife“ noch einmal heraus

Herr Claxton, Ihr Buch „Jazzlife“ wirkt nicht wie das Werk eines Jazzfotografen. Es ist eher das Buch eines Dokumentarfotografen.

Genau das wollte ich erreichen. Mein Traum war es immer, ein guter Fotojournalist zu werden. Als Joachim Ernst Berendt und ich 1960 durch die USA reisten, versuchte ich alles festzuhalten: Tankstellen, Restaurants, selbst die Bedienungen, die uns Cocktails servierten. Ich, in Kalifornien aufgewachsen, war gefesselt von den Rassenbeziehungen in den Südstaaten. Die Atmosphäre dort war ganz anders als im Rest des Landes.

Auf Ihrer Reise mit Berendt machten Sie ein berühmtes Bild von John Coltrane, der damals gerade zum Jazz-Star aufstieg …

… Berendt rief mir vom Telefon aus zu: Ich habe John Coltrane an der Strippe, wo sollen wir ihn treffen? Ich hatte in der Zeitung gelesen, dass der Frank Lloyd Wright-Bau des Guggenheim Museums eröffnet worden war, also schleppte ich ihn dorthin.

Auf dem Foto steht Coltrane links im Bild, neben ihm hängt ein großes Franz Kline- Gemälde. Beide bilden eine Einheit, obwohl Coltrane in die andere Richtung sieht. Suchte Coltrane dieses Motiv aus?

Coltrane wusste ja nicht einmal, was das Guggenheim ist. Er sagte mir, er sei noch nie im Museum gewesen. Franz Kline gehörte zu meinen Lieblingen, also führte ich ihn dorthin und drückte ab.

Sie haben mal erklärt, was Sie an Jazzmusikern schätzen: Intelligenz ohne jegliche Bildung.

Das stimmt genau. Charlie Parker war so ein Typ. Sein Englisch war nicht besonders gut. Er wollte sprechen wie ein Professor, doch gerade dabei merkte man, wie ungebildet er war. Aber dann erfand er plötzlich Neologismen, die man sofort verstand, weil sie die Sache auf den Punkt brachten. Übrigens hat mich diese Mischung auch an Schauspielern gereizt, vor allem an Steve McQueen. Er hatte eine Lese- und Rechtschreibschwäche, aber sobald ich mit ihm sprach, wurde klar, wie schlagfertig er war.

Sind solche Gespräche notwendig für gute Fotos?

Das kommt auf das Genre an. Ich habe ja auch viel Modefotografie gemacht. Mit den meisten Fashion-Models hat es keinen Zweck, ein Gespräch anzufangen. Sie sind wie aus Gummi. Man muss sie sich zurechtbiegen, bis die Pose stimmt. Das ist sehr ermüdend, weil es nicht zu meiner Methode passt.

Ihre Methode?

In aller Regel sind Musiker und Schauspieler wirklich interessante Menschen. Aber sie tragen Masken zum Schutz. Erst, wenn sie sich entspannen, zeigen sie das Interessanteste: ihr Selbst. Deswegen habe ich es zu meiner Methode gemacht, die Menschen so gut wie möglich kennen zu lernen, bevor ich mit dem Fotografieren anfange. Das gibt mir auch mehr Zeit, ihre Physiognomie zu studieren. Und zu beobachten, wie das Licht fällt.

Klingt ziemlich unpraktisch, bei all der Hektik im Showbusiness.

Neulich hatte ich ein Shooting mit Elton John. Er lud mich zum Essen ein, wir haben uns gut unterhalten und er sagte: William, mach mit mir, was du willst. Am Ende war er dann doch nicht ganz so unkompliziert.

Und früher war so etwas der Normalfall?

Ja. Ich traf mich mit den Musikern im Proberaum. Sie spielten eine kleine Melodie und fragten, ob ich das kenne. Wenn sie vom Instrument aufschauten, runzelten sie die Stirn oder lächelten. Das war der Moment.

Das Glück des Augenblicks, nach dem sich Fotografen sehnen?

Es gibt noch einen weiteren Höhepunkt, später in der Dunkelkammer. Ich sah Chet Baker das erste Mal auf der Bühne mit Charlie Parker, 1951. Er fiel auf, weil er der einzige weiße Musiker war. Er sah schon nicht schlecht aus. Sehr feminin, aber wie ein harter Kerl, wie ein heiliger Preisboxer. Besonders attraktiv wirkte er trotzdem nicht. Aber als ich später im Labor vor den Abzügen stand, dachte ich: Genau das versteht man unter „fotogen“.

Sie hatten keine Ahnung, als Sie durch den Sucher guckten?

Man kann Fotogenität nicht mit bloßem Auge erkennen. Diese Menschen haben die Gabe, sich auf Fotopapier zu verwandeln. Viele Fotografen behaupten, sie könnten das voraussagen. Aber das ist absoluter Blödsinn.

Die Macht der Kamera?

Genau. Oft ist es zum Verzweifeln! All die versäumten Fotos! Wenn sich jemand nicht fotografieren lassen wollte. Wenn zu wenig Zeit war. Wenn das Licht nichts taugte. Die Kamera kann zu einem verfluchten Hindernis werden. Und dieses Klick, Klick – das kann so lächerlich klingen. Am schlimmsten ist es, wenn mein Gegenüber nicht in die Kamera sehen will. Der Betrachter des Bildes möchte nun mal angesehen werden. Ich trauere solchen verpatzten Bildern hinterher, indem ich sie vor meinem inneren Auge neu erfinde.

Als Ihr Studio in den Fünfzigern überflutet wurde, haben Sie viele Bilder verloren.

Ich habe damals ein Drittel meiner Negative eingebüßt. Ich sehe immer noch mein Charlie-Parker-Foto vor mir. Er steht auf dem Sprungbrett am Swimmingpool meiner Eltern. Nackt. Und spielt Saxofon. Sein Schatten liegt über dem Wasser. Ein Akt des Genies beim Spielen. Ach, stark!

Und es gibt keine einzige Reproduktion?

Leider nicht. Ich könnte das Foto natürlich nachstellen. Aber dieser Moment von damals, der ist verloren.

Das Gespräch führte Johannes Völz. William Claxton: „Jazzlife“, Taschen Verlag Köln, 700 Seiten, 150,- €. Der Fotograf wird sein Buch am heutigen Dienstag um 19 Uhr im Museum für Fotografie (Jebensstr. 2, Tiergarten) signieren.

William Claxton (78) wuchs in Kalifornien auf. Als Jugendlicher wurde er zum Jazzfan und fotografiert seitdem die Jazzmusiker der USA. Er ist mit dem Model Peggy Moffitt verheiratet.

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