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Kultur: Mächtiges russisches Häuflein

Das Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker

Wenn die tatarischen Polowetzer tanzen, verknüpft sich bei dem Komponisten Alexander Borodin das Primitive der Folklore mit höchster Kunst. In der Rhythmik kündigt sich die Auflösung der klassischen Symmetrie an. Das heißt, dass die „Polowetzer Tänze“ selbst für die Berliner Philharmoniker eine knifflige Herausforderung sind. Russische Musik des 19. Jahrhunderts steht auf ihrem Programm und Borodin mit seiner Musik aus der Oper „Fürst Igor“ an der Spitze. Da sieht man manchen wippenden Philharmonikerfuß, denn das Stück will, zumal in seinen Prestoteilen, akkurat ausgezählt sein. Versteht sich bei diesem Orchester, dass die Mühe belohnt wird: mit zündendem Effekt. Simon Rattle knüpft hier nicht von ungefähr an seinen Erfolg mit Strawinskys „Sacre“ an.

Dennoch: „Klassik hat’s schwer im Fernsehen“, so formuliert ein Musiker, der mit seiner Meinung für viele spricht. Wer heute um 18 Uhr das ZDF einschaltet, um sich am Silvesterkonzert der Philharmoniker zu erfreuen, wird den Komponisten Borodin vermissen müssen. Auch dessen Symphonie Nr. 2 h-Moll, ein Meisterwerk aus russischer Seele und ursprünglicher Wucht, in dem die chorischen Streicher und Posaunen singen. Das ZDF verengt dieses Konzert in seinem Zeitplan auf eine Stunde, während die Primetime ohnehin großzügig für André Rieu berechnet ist. So schaltet sich das ZDF erst in den zweiten Teil des russischen Philharmonikerprogramms ein.

Der gehört Modest Mussorgsky, dem genialsten aus der russischen Gruppe der Fünf, die sich „Mächtiges Häuflein“ nannte. Wie im „Boris Godunow“ steht in der Oper „Chowanschtschina“ das Volk im Zentrum der Handlung. An der Bayerischen Staatsoper, wo das Werk in diesem Jahr Premiere hatte, erweist es sich unter Kent Nagano und Dmitri Tscherniakov als grandioses Geschichtsdrama. Hier in der Philharmonie erklingt mit der göttlichen Klarinette von Wenzel Fuchs im Holzbläsersatz das Vorspiel, „Morgendämmerung an der Moskwa“.

Was für ein Orchester! Das können nun auch alle TV-Zuschauer bewundern, wenn Sir Simon die „Bilder einer Ausstellung“ befeuert, Mussorgskys größtes Klavierwerk in der Fassung von Maurice Ravel. Die Orchester verdanken dieser Instrumentierung ein Paradestück. Bläser und Streicher mit Pauken, Celesta und Schlagwerk wie Glocke und Tamtam zeichnen die Bilder des Malers Viktor Hartmann nach. Bei den Philharmonikern greift der Posaunist Christhard Gössling zum Tenorhorn, während die Trompete von Tamás Velenczei der Aufführung ihre Kontraste schenkt. Der Oboist Jonathan Kelly, der Hornist Stefan Dohr, die Blechbläserriege werden gefeiert, und in der Kontrabassgruppe, die den herrlichen Grund gibt, spielen die drei philharmonischen Solobassisten!

Der britische Chefdirigent spielt mit den Berliner Philharmonikern ein grandioses russisches Werk, das ein Franzose ungewöhnlich einfühlsam bearbeitet hat. Was müht uns da das Rätseln um den deutschen Klang? Ein Mitschnitt des Silvesterkonzerts, der auch den Borodin-Teil enthält, erscheint bereits am 7. Januar als CD. Sybill Mahlke

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