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Kultur: Mädchen, Beine, Sensationen

Vom Aussterben bedroht: Kitty Kahane und Brit Hartmann setzen „Berliner Typen“ ein Denkmal

Der typische Berliner, so behauptet das Klischee, ist vorlaut, schlagfertig und meistens eher schlecht gelaunt. Er hat eine große Klappe, ist aber im Grunde ein zwar widerborstiger, aber nicht unfreundlicher Zeitgenosse. Gerne wird der Berlinerin und dem Berliner ein „Herz mit Schnauze“ attestiert, wobei es sich von Fall zu Fall, manchmal auch von Tag zu Tag unterscheidet, was größer ist: das Herz oder die Schnauze.

Allerdings schlagen die Zeichnerin Kitty Kahane und die Autorin Brit Hartmann, zwei Schwestern, jetzt Alarm. Der gewitzt-renitente Hauptstädter sei vom Aussterben bedroht, der sympathische Großkotz ein Auslaufmodell. „Mal ganz ehrlich“, fragen sie, „wer trank sein letztes Bier an der Ecke mit markigen Gestalten? Wer kennt noch einen Opa, der mir statt mich sagt, seine Wohnung mit Kohlen heizt und in dieser auch geboren wurde?“ Die Eckkneipen mit dem Schultheiss-Logo im Namenszug sind in den durchgentrifizierten Stadtteilen bereits weitgehend verschwunden, dito die Kohleöfen. Und berlinernde Opas werden auch immer seltener.

„Heinrich Zille“, glauben Kahane und Hartmann, „wäre heute so eine Art Günter Wallraff, für den Eckensteher Nante gäbe es keine Verwendung und die Harfenjule würde in der U-Bahn die Leute nerven.“ „Berliner Typen“ heißt das Buch, mit dem die beiden Schwestern, die bereits mit einem wundervoll illustrierten Berlin-Kochbuch aufgefallen waren, nun Originalen wie Heinrich Zille, Atze Brauner, Coco Schumann und Hans Rosenthal ein Denkmal setzen. Sie porträtieren in „Bildern und wahren Geschichten“ – so der Untertitel – ein gutes Dutzend exemplarischer Hauptstädter. Dabei greifen sie mit dem Lokomotivenkönig August Borsig und dem Gassenhauerfabrikanten Paul Lincke ins 19. Jahrhundert zurück, setzen den Schwerpunkt im Berliner „Sündenbabel“ der Weimarer Republik und in der Nachkriegszeit, lassen mit den Jetztzeit-Ikonen Katharina Thalbach und Nina Hagen aber auch die Gegenwart nicht zu kurz kommen. Die Auswahl wirkt schlüssig, aber auch höchst subjektiv. Marlene Dietrich, Ernst Reuter und Hildegard Knef kommen nicht vor. Dafür ist ein Kapitel einer Figur gewidmet, die eine literarische Fiktion ist: Emil Tischbein, dem jugendlichen Berlin-Besucher aus Erich Kästners Kinderbuchklassiker „Emil und die Detektive“.

Dieser Emil ist ein Held des Staunens, der schon im Zug, der ihn aus seinem Heimatkaff Neustadt nach Berlin bringt, von schwankenden Wolkenkratzern und nimmersatten Rohrpostleitungen träumt. Ins Staunen gerät auch der Leser von Kahanes und Hartmanns Buch, denn die Metropole, die ihm dort vorgeführt wird, ist in vielerlei Hinsicht ein sensationeller Ort. „Selten wurde Kultur so kommerzialisiert, so hochgepeitscht mit der Konkurrenz Tür an Tür“, heißt es im Beitrag über den Impresario Hermann Haller.

Der Theaterunternehmer sorgt ab 1923 mit seinen „Haller Girls“ im Admiralspalast an der Friedrichstraße für Furore. Elftausend Besucher strömen allabendlich in seine Revuen, in denen barbusige Tänzerinnen in waghalsigen „lebenden Bildern“ posieren. Das Frauenbein wird zum Fetisch der Ära, Siegfried Kracauer notiert: „Drückt man auf einen Knopf, so wird die Mädchenvorrichtung angekurbelt und leistet die gewaltige Arbeit von 32 PS.“ Ein paar Straßen weiter, im Scheunenviertel, steigt gleichzeitig Adolf Leib, bekannt auch als „Muskel-Adolf“, zum Unterweltboss auf. Er gründet den Ganoven-Dachverband „Geselligkeits-Club Immertreu 1919 e. V.“ und bringt es bis zum Berater von Regisseur Fritz Lang bei dessen Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Hehler, Huren, harte Jungs verkehren in poetisch benannten Lokalen: Schnurrbartdiele, Schwarzer Walfisch, Mulackritze. 1934 wird Leib von der Gestapo abgeholt, danach hört man nie wieder etwas von ihm.

Das Buch ist voll mit solchen Anekdoten und Historien. Brit Hartmann schreibt, dem Thema angemessen, schnoddrig und lakonisch, die Zeichnungen von Kitty Kahane stehen sowieso in einer Berliner Tradition. Mit der Präzision ihres Strichs und der Lust an karikaturistischer Zuspitzung erinnern sie an George Grosz, an den Kästner-Illustrator Walter Trier und an Heinrich Zille.

Vom „Pinselheinrich“ handelt eine der schönsten Geschichten des Bandes. Da erscheint der Maler, der in seinen Bildern die Enge und den Dreck des Berliner Mietskasernenmilieus festgehalten hat, als Aufsteiger, der am eigenen Ruhm zugrunde geht. Als er Mitte der zwanziger Jahre mit Theateraufführungen vor „Zille-Kulissen“ gefeiert wird, fühlt er sich missverstanden. Postalische Autogrammwünsche erfüllt er nur, wenn der Absender fünf Mark an Bedürftige zahlt. Er will den Armen nahe sein, nicht den Reichen, die ihm nun zujubeln. Es ist dieser Eigensinn, der Zille zu einem Berliner Typen macht.

Kitty Kahane, Brit Hartmann: Berliner Typen. Nicolai Verlag, 128 S., 16, 95 €. Das Buch wird am Mittwoch, 19. Mai, um 19 Uhr im Kulturkaufhaus Dussmann, Friedrichstr. 90, vorgestellt. Eintritt frei.

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