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Harte Arbeit am Ton. Der 1990 verstorbene Komponist Julius Eastman.

© Berliner Festspiele

Märzmusik: Minimale Strukturen, maximale Wirkung

Start des Märzmusik-Festivals: Ein Abend zu Ehren des US-Komponisten Julius Eastman.

Zur Eröffnung verpflanzt das Festival Märzmusik mal eben die Philharmonie vom Potsdamer Platz nach Wilmersdorf: Seiten- und Hinterbühne im Haus der Berliner Festspiele sind freigeräumt, Ränge ragen in die Höhe. Aus der Frontalsituation wird eine Rundum-Bespielung, ein Amphitheater, in dem Besucher sitzen, aber auch auf Kissen lümmeln können – willkommen, wir sind alle eine große Familie! Die Maßnahme verfehlt ihre Wirkung nicht, der Raum gewinnt an Tiefe und Großzügigkeit. Im Mittelpunkt: vier Klaviere, angeordnet in Windrosenart. Die Solisten sitzen mit dem Rücken zueinander, sehen sich nicht, müssen sich extrem aufs Gehör verlassen – und auf die Uhr.

Ein hämmernder, bohrender Rhythmus, messerscharf gestanzt, Töne wie Tropfen aus Stahl. Der amerikanische Komponist Julius Eastman, zentrale Figur dieses Eröffnungsabends, hat in seinen drei Stücken mit den provokativen Titeln „Evil Nigger“, „Gay Guerilla“ und „Crazy Nigger“ (1979) nur die Zeitpunkte notiert, an denen sich die Tonhöhe ändert, das musikalische Gewebe umschlägt – grob gesagt alle 90 Sekunden. Stimmen, die sich aufbauschen, verschlingen, dynamisch an- und abschwellen. Postminimalistische Musik, weil sie die mathematische Starrheit von Minimal Music hinter sich lässt, pulsiert, lebt. „Organisch“ hat Eastman das Prinzip genannt: Alles Vorhergehende soll im Späteren mitenthalten sein. Nach einer Weile schält sich in „Gay Guerilla“ Luthers Choral „Eine feste Burg ist unser Gott“ heraus – die Melodie hat erstaunliche musikalische Karriere gemacht, auch in Mendelssohns Reformationssymphonie oder Meyerbeers Oper „Die Hugenotten“. Hier signalisiert sie nicht protestantische, sondern schwule Kampfbereitschaft.

Absturz in den Alkohol

Die vier erschöpften Solistinnen und Solisten – Ernst Surberg, Christoph Grund, Julie Sassoon und Malgorzata Walentynowicz – gönnen sich einen Schluck Wasser, während der 1990 gestorbene Eastman sich auf einer Zuspielung vom Band zu den Titeln der Stücke äußert. Der Begriff „Nigger“ habe für ihn etwas Fundamentales, eine „Basicness“, weil es „Nigger“ waren, die im Feld gearbeitet und Amerikas Wirtschaft damit überhaupt erst möglich gemacht hätten.

Als schwuler, afroamerikanischer Komponist erregte er Aufsehen, hatte auch in gewissen Grenzen Erfolg – und starb doch, alkoholkrank, mit 49 Jahren völlig allein an Herzversagen im Krankenhaus, nachdem er, aus der Wohnung gejagt, im Park hatte leben müssen. Viele seiner Aufzeichnungen sind verloren. Erst acht Monate später schrieb Mitstreiter Kyle Gann den ersten Nachruf in der New Yorker „Village Voice“: „Eastmans Werk zeigt die verschiedenen Wege, die der Minimalismus hätte nehmen können. Vielleicht geht sie jetzt jemand anderes.“ In Berlin, bei der versuchten Wiederentdeckung, fallen vor allem die Zeitdehnungsprozesse dieser Musik auf, deshalb hat sie Märzmusik-Chef Bernd Odo Polzer in sein „Festival für Zeitfragen“ aufgenommen. Der Hörer rutscht ab in Trance und eine Ahnung von Ewigkeit, jedes Stück scheint länger zu dauern als das davor, was wiederum an die gestaffelte Länge der Kapitel von Thomas Manns „Zauberberg“ erinnert, auch ein Zeitroman.

Nicht das Phänomen Zeit an sich, sondern konkret unsere verstörende Gegenwart nimmt sich der ägyptische Drummer und Performer Uriel Barthélémi im zweiten Stück des Abends vor, „The Unbreathing“. Videoanimationen von Waffen, Zäunen, Farnen, Kinderarbeit, Blut spuckende Münder. Barthélémi steuert die Bilderflut elektronisch mit seinem Schlagwerk – und löst doch den Anspruch nicht ein, dass Rhythmus hier politisch werden soll. Die Verknüpfung von Video und Musik bleibt beliebig, stetig verlassen Besucher den Saal. Bis der harte Kern erreicht ist. Der kann aber recht kräftig applaudieren.

Märzmusik, noch bis 26.3., www.berlinerfestspiele.de

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