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Magdalena Kožená

© Oleg Rostovtsev/Konzerthaus

Magdalena Kožená im Konzerthaus: Auf offener Bühne

Ihr Gesang unterläuft jedes Gender-Stereotyp: Die tschechische Opernsängerin Magdalena Kožená im Konzerthaus.

Ein ganzes Konzert lang nur Händel? Gleich drei Concerti Grossi (op.3 Nr.2, op6. Nr 1 und Nr. 4), eine Opern-Ouvertüre, dazu acht Arien, seinerzeit Kassenschlager und freundlich- beschwingte Gebrauchsmusik des in London weilenden Barockmeisters? Wenn die Alte-Musik-Spezialisten des Venice Baroque Orchestra unter Leitung des Cembalisten Andrea Marcon ihren Händel makellos vibratofrei und gleichzeitig mit spielfreudigem Elan zum Besten geben, wenn Magdalena Kožená die virtuosen, für den Stimmumfang von zweieinhalb Oktaven verfassten Kastraten-Partien mühelos interpretiert, dann wird einem bei so viel routinierter Raffinesse und vitaler Perfektion der Abend fast lang.

Klar, die Italiener verstehen es, mitten in den organischen Tuttipassagen mit den flinken Auf- und Abschwüngen die Violinen in intimere Dialoge zu verwickeln und die barocken Affekte mit energischer Bogenführung in den schnelleren Sätzen zu konterkarieren. Und Magdalena Kožená dreht gleich zu Beginn in „L’angue offeso“ aus der „Julius Cäsar“-Oper von Null auf hundert in den Wut-, Gift- und Rachemodus hoch, um wenige Minuten später in der „Cara sposa“-Arie aus „Rinaldo“ hypnotische Ruhe zu verbreiten. Sie beherrscht das gesamte Spektrum, die Schockstarre, die Bangigkeit, die Gewitterstürme der Leidenschaften, die Hysterie, die Verzweiflung. Aber die Akustik des Konzerthauses ist dem Zusammenklang ihres Mezzosoprans mit dem Ensemble nicht gerade zuträglich; im großen Saal verliert sich der Gesang beinahe zwischen den Instrumenten. Nur bei Koženás kräftig beseelten Spitzentönen stimmt das dynamische Gleichgewicht.

Frech, kokett, respektgebietend

Nach der Pause wischt Kožená alle Bedenken ein für alle mal fort. Eine Klage, ein Schmerzensschrei – zu höchst kultiviertem Lamento geronnen: „Se pietà di me non senti“. Der Himmel möge sich meiner erbarmen: ein hauchfeines Tremolo, ein flattriger Triller, ein feines Vibrieren der Stimmbänder, letzte Atemzüge – da stirbt eine auf offener Bühne und trotzt doch beharrlich dem Tod. Endlich macht das plane Instrumentalspiel nach den Regeln der historischen Aufführungspraxis tieferen Sinn – als solide Basis für die Risiken und Nebenwirkungen des Gesangs.

Manchmal geschieht es ja im Konzert, dieser Kippmoment, ein Augenblick der Transzendenz, der alles unterwandert und alles verändert. Selbst der Applaus stört einen dann. Danach klingt Kožená noch souveräner, übermütig in „Dopo notte“ aus „Ariodante“ und erneut bewegend wehklagend in der ersten Zugabe, „Piangerò la sorte mia“ – wieder aus „Giulio Cesare“.

Erst jetzt merkt man, was einem an der 44-jährigen tschechischen Opernsängerin ohnehin so gefällt. Allein die burschikose Art, wie sie ihre Galarobe rafft und in ihren High Heels eben nicht davonstöckelt, sondern männlichen Schritts vom Podium abtritt. Frech, hochkonzentriert, kokett, respektgebietend, maskulin, feminin – die Affekte und Kategorien verwischen. Schon Koženás Gang unterläuft jedes Gender-Stereotyp. Von ihrem Gesang zu schweigen.

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