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Magische Orte (2): Wo das Licht herunterstürzt

Wer hier durch Regen eilt, ist ein Fremder. Durch den Regen gehen, das ist es: Soufrière auf der Karibikinsel Saint Lucia – Tagesgesänge und Nachtmusik.

LIQUID SUN

Ankommen unter dem Wolkenbruch. Vorbei auf der steilen Hügelstraße an dem Lastwagen, der kaputt am Hang steht, mitten auf der Spur, verlassen, das Ersatzteil fehlt und fehlt und fehlt, hinunter nach Soufrière. Der Blick in die Bucht immer wieder verhangen von vorbeijagenden Regenvorhängen, dahinter Palmen, die den Hang hoch wachsen, sie trinken, sie wiegen sich, sie sind der Chor, antworten auf den Wind. Atemholen, so lange die Götter sich ausgießen. Nachher: flüssige Sonne, so nennen sie hier die dampfende Welt nach dem Regen, schon trocknet die Kleidung am Körper. Wer vor dem Regen flieht, ist ein Fremder. Wer durch Regen eilt, ist ein Fremder. Durch den Regen gehen, das ist es.

PITONS

Soufrière: englisch auszusprechen. Kommt aber von französisch soufre, Schwefel. Eine Quelle, sagen sie, in der Nähe. Soufrière heißen die noch aktiven Vulkane auf Inseln nebenan, hier gibt es nur die Pitons, sie sollen erloschen sein, zwei Kegelberge, wie Kinder sie malen, wenn sie Berge malen. Die Pitons sind die Wahrzeichen von Saint Lucia, englisch auszusprechen, auf der Staatsflagge prangen sie schwarz (wie die Menschen) auf Gelb (wie die Sonne) auf blauem Grund (wie das karibische Meer). Piton heißt auch das Inselbier, und die Wirtin heißt Hyacynthia Theresine of La Clery: auch englisch auszusprechen.

OLD LADY

Der Weg ins Dorf, das eine Stadt ist, die ein Dorf ist, führt am Friedhof vorbei, von der schmalen Straße trennt ihn ein hüfthohes Mäuerchen, es gibt die erste Klasse mit salzzerfressenen, weiß gekachelten Sarkophagen, eingelassenen Passfotos und Inschriften („Young one take heed as you go by, as you are now so once was I, As I am now you once must be, Prepare yourself and follow me“) und die zweite Klasse mit grün bewachsenen Hügeln, ungeordnetes Gräberfeld. Eine alte Frau ist soeben zweiter Klasse beigesetzt worden, und die Hinterbliebenen, die Männer in weißen Hemden und schwarzen Hosen und ganz in Weiß die Frauen, fotografieren sich gegenseitig, schwarzweiße Vögel auf dem Acker, gleich fliegen sie fort. Wir hängen nicht sehr an unseren Toten, sagt Hyacynthia Theresine of La Clery, oder war es ihr Sohn Terry.

SLU

Sie sind die Enkel der Enkel der Enkel der schwarzen Sklaven, Beute der Briten und Franzosen, die sich um die karibischen Inseln geprügelt haben jahrhundertelang, und jetzt ist das ihr Land. Ihr Land: Sie arbeiten in den Resorts, in denen die Flugzeugmenschen aus Übersee sich erholen, die Flugzeugmenschen, die nach SLU eingecheckt haben und in Vieux Fort gelandet sind und mit Bussen auch durch Soufrière gefahren und weg. Sie arbeiten auf den Ausflugsbooten, die nachmittags die Fremden in die stille Hitze der Ortes auswerfen, und wenn die Nacht einfällt und der Stromausfall über Soufrière, sitzen sie lange in Bar eins, zwei oder drei und trinken Piton. Teelichte glimmen dann auf und Kerzen in den Gehäusen aus Brettern zwischen Beton-Estrich und Blech, und in allen Straßen tönen durcheinander die Stimmen.

DON'T STOP SINGING

Wenn die Verkäuferinnen allein sind in den kleinen Läden, singen sie. Sie singen zu den Radioschlagern mit schöneren Stimmen als die Stimmen in den Radioschlagern, alle Verkäuferinnen in Soufrière und überhaupt auf Saint Lucia haben schönere Stimmen als die Stimmen der Radioschlager, und natürlich verstummen sie, wenn jemand den Laden betritt. Wer die Schönheit liebt, aber hungrig ist oder vielleicht nur die Inselzeitung „The Voice“ kaufen will (kein Fernsehprogramm, kein Wetterbericht), hat jetzt ein Problem.

SENIOR CITIZEN HOME

Dorfauswärts, wo die Kinder in Windeln und Unterhosen auf der Straße spielen, wird der Asphalt zum Sandweg, den kaum jemand nimmt. Der in den Palmenhang gezogene Strich auf der Küstenlinie säumt auf mäßiger Höhe Buchten, Felsvorsprünge und mündet nach einer Wanderweile am Heim des älteren Bürgers. Ein langgestrecktes, zweistöckiges Gebäude mit Metallblenden vor den Fenstern: Hier leben nicht die Alten, die bleiben bei ihren Familien, bis sie sterben, sondern ein paar Vergessene, die Männer im Erdgeschoss, die Frauen oben. Es sind die Krüppel und die Verrückten, die von ein paar Helfern und Helferinnen versorgten Abgeschobenen, und wenn du Glück hast, welcome to paradise, lachen sie dir ins Gesicht.

CRIC-CRIC

Zimmer, durch die der Wind geht, nachts. Schaben, die innen am Moskitonetz hochkriechen, man muss sie töten, sobald man sie entdeckt. Ein verirrter Baumfrosch auf der Terrasse, Nachtgeschöpf, wässrig gelbgrün, er macht sich so durchsichtig, wie er kann. Das Kreischen der Insekten, man nennt sie CricCric, das Geschrille, das nach dem Regen noch anschwillt, die große Nachtmusik: Auf einen Schlag bricht sie ab mit dem Tageslicht, das auf die Insel stürzt. Aufwachen von der Stille, nicht vom Licht.

MY FRIEND WHERE ARE YOU FROM

Mit dem stummen Google-Earth-Helikopter auf Soufrière hinunterzoomen, so erschlossen rätsellos also auch das. Dabei gibt es sie, die Zonen, wo die globalisierte Behelligung aufhört, oft fast unmittelbar neben dem gleißenden Betrieb. Dieses Hotel, nicht jenes, der Bezirk nicht auf dieser, sondern auf jener Seite des Marktplatzes, oder, für Google Earth unsichtbar, exakt derselbe Planetenplatz nur über Nacht. Wer jung reist, nimmt zum Abschied solche Orte mit, verstaut sie im Riesenrucksack, füttert sich Erinnerung an und einen Wiederkehrplan. Bisschen später im Leben reißt sich was ab, wenn du abreist von solchen Orten, Soufrière ist einer davon. Weniger werden, das ist es.

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