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Roemische_Baeder

© AKG/pa

Magische Orte (6): Flieg, Gedanke

Das war so fremd, so DDR-untypisch schön: Die Römischen Bäder im Schlösserwunderland von Potsdam.

Fernweh hatten wir in der DDR eigentlich ständig. Der Grundimpuls: einfach nur raus. Nicht immer fanden die Sehnsüchtigen so ihr Ziel. Ein im Windschatten der Mauer aufgewachsener Achtjähriger hatte das Glück zu finden, ohne gesucht zu haben. Sein Sehnsuchtsort erhielt plötzlich ein Gesicht. Später tat der Ausblick weh. Ein Stechen in der Brust, da wo die Selbstachtung sitzt.

Als Mitglied im „Kinderklub Sanssouci“ erfreute sich das Kind Mitte der siebziger Jahre nicht nur an den Geschichten über Kaiser und Könige, die in Potsdam Kunst angehäuft hatten. Es entdeckte den Park Sanssouci, dieses Schlösserwunderland, für sich allein. Charlottenhof und die Römischen Bäder im südwestlichen Zipfel der Kunstlandschaft hatten es ihm besonders angetan. Das war so fremd, so DDR-untypisch schön. Das Kind im Mann erinnert sich noch heute an Wohlbehagen im Bauch, trotz des unübersehbaren Verfalls.

Taugt ein Schloss als erste Liebe? Nobel bemessene Säulen; Weinlaub und Palmen; Zucchini- und Auberginenpflanzen in Schmuckrabatten; Türme und goldgelbe Wände, die sich im Wasser spiegeln. Und diese Mauern aus sonnendurchwärmten Bruchsteinen, über die Eidechsen huschen. Ganz anders als das Betonmonstrum neben dem Garten der Großeltern zu Hause, das einen vom Rest der Welt abschnitt. Sanssouci wurde zur Ahnung von Weite. So ungefähr müsste es in Italien aussehen.

Die alte Liebe zu Charlottenhof und den Römischen Bädern hat alle Wenden überstanden. Selbst die erste Italienreise Anfang der Neunziger, die mit der bitteren Einsicht verbunden bleibt, dass nicht jede Palladio-Villa in arkadischer Landschaft steht. Und dass Wohlstandsmüll und Armutsdreck massiv die Originale der in Potsdam nachgebauten Architekturschätze bedrohen.

Die Römischen Bäder, auf Wunsch des preußischen Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm IV. von Karl Friedrich Schinkel und Ludwig Persius errichtet, sind ein postmodernes Baukunststück avant la lettre. Ein Architekturbilderbuch der Zitate und Anspielungen, eine kapriziöse Laune. Und ein Bildungsbürgerbau. Baden konnte man in den Bädern nie. Sie dienen der Anschauung. Der Kernbau des zwischen 1829 und 1840 entstandenen Ensembles ist das begehbare Modell einer antiken römischen Villa, wie man sie ähnlich in Pompeji ausgegraben hatte. Das Caldarium, ein Warmwasserbad, ist die Krönung der Raumfolge: eine zum Himmel hin offene Riesenmarmorbadewanne. Das Dach davor wird von Koren gestützt, Kopien der berühmten Skulpturen vom Erechtheion der Athener Akropolis. Athletische Schönheit als Maß. Mens sana in corpore sano.

Weniger gesund war die Baulust des Auftraggebers. Friedrich Wilhelm wäre selbst gern Architekt geworden. Im Osten hatte man viel Verständnis für so einen unschuldig an den Verhältnissen Gescheiterten. Zumal auch für ihn das Reisen in den ersehnten Süden keine Selbstverständlichkeit war.

Derzeit zeigt die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in den Römischen Bädern in einer wunderbaren Kabinettausstellung das „Vermählungsalbum“ (bis 31. Oktober, Katalog 14,90 Euro): Als der protestantische Preußenprinz und die katholische bayerische Prinzessin Elisabeth sich 1823 endlich das Jawort geben durften, forderte der preußische Generalkonsul Jacob Salomon Bartholdy in Rom alle in der Ewigen Stadt lebenden preußischen und bayerischen Künstler auf, dem interkonfessionellen Paar Zeichnungen zu widmen. Herausgekommen ist ein Album voller Sehnsuchtsbilder. Friedrich Wilhelm durfte übrigens erst 1828 zum ersten Mal nach Italien reisen.

Er zeichnete lieber Architekturentwürfe, statt zu regieren. Mitte der 1830er Jahre (da war er noch Kronprinz) träumte er sich in eine megalomane antike Villa direkt neben den Römischen Bädern hinein. Schinkel musste seine Ideen ins Reine zeichnen. Zum Glück sind sie Papier geblieben. Zur Sehnsucht gehört stets das Scheitern.

Stoff zum melancholischen Hin- und Wegträumen bieten die Römischen Bäder genug. Die Herrschaften von einst haben sich dafür von Schinkel den Teepavillon entwerfen lassen: als Nachbildung eines kleinen, perfekt proportionierten griechischen Tempels. Das Haus des Hofgärtners Hermann Sello hingegen sieht wie ein toskanisches Bauernhaus des 15. Jahrhunderts aus. Es ist die Mutter aller Turmvillen im Italienstil. Das von Pergolen umsäumte Gärtnerhaus findet man in jeder guten Architekturgeschichte wieder: als Vorbild für Landhäuser zwischen Berlin, Glasgow und Chicago. Fernweh kann international sein.

Oder sich in einem Punkt fokussieren. Wer die Pergola zwischen Hofgärtner- und Gehilfenhaus passiert und nach links abbiegt, findet sich in einer marmorkühlen Vorhalle mit Blick auf einen weinumrankten Laubengang wieder. In dieses Architektur- und Naturstillleben hinein sendet der Maschinenteich (nach einer Dampfmaschine benannt, die einst die Brunnen versorgt hat) stille Wasser. Mittendrin steht ein Etwas, das auf den ersten Blick wie der Bug einer venezianischen Gondel aussieht. Wer genauer hinschaut, erkennt lackiertes Blech.

Fernweh ist Illusionskunst. Vielleicht die schönste.

Bisher in der Serie „Magische Orte“ erschienen: Schloss Ulrichshusen (18. 7.), die Karibikinsel St. Lucia (25. 7.), die Kölner Domplatte (30. 7.), der Baquedano-Platz in Santiago de Chile (6. 8.), das Amphitheater von Epidauros (11. 8.).

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