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Kultur: Malen, jagen und ein Bier dazu

Zeitreise an die Spree: Wie der Kalifornier Richard Jackson im Hamburger Bahnhof die Kunst verdreht

Richard Jackson nimmt es gelassen. Aber der Berlin-Trip muss für ihn eine Zeitreise sein. Vor fast dreißig Jahren war der kalifornische Künstler schon einmal in der Stadt, damals als Gast des DAAD. Der große Durchbruch in Europa blieb ihm trotzdem verwehrt. Der bekennende Kunstanarchist kehrte zurück nach Pasadena, baute weiter an seinen Bilderstapeln und Leinwandlabyrinthen und widmete sich seinen zweitliebsten Beschäftigungen: „deer“ und „beer“, so steht es wörtlich auf zwei Gemälden von ihm geschrieben, der Hirschjagd und dem Biertrinken. Das macht er nicht allein. Zu seinen Kumpanen gehören die bekanntesten westcoast-Künstler, Bruce Nauman, Paul McCarthy, John Baldessari, Charles Ray. Sie haben ihn immer schon als einen der ihren angesehen.

Jahrzehnte später ist er nun erneut an die Spree gekommen, wo sich seit ehedem alles geändert hat. Und wieder stellt Jackson aus, allerdings nicht in der kleinen DAAD-Galerie über dem Café Einstein, dem damals wichtigsten internationalen Kunstschaufenster Berlins, sondern im Museum für Gegenwart, dem Hamburger Bahnhof. Friedrich Christian Flick, in dessen Sammlung sich zahlreiche Werke des eigenwilligen Künstlers befinden, hat ihm diese neue Brücke gebaut. Und so ist die vierte große Flick- Ausstellung, die im Rahmen des siebenjährigen Leihvertrages mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vereinbart wurde und aus Beständen der Flick-Collection bestritten wird, ganz Jackson gewidmet – nach der großen Erstpräsentation im Herbst 2004 waren bereits eine Urs-Fischer-Einzelausstellung und die Minimalismus-Schau zu sehen.

Jacksons internationale Anerkennung bahnte sich bereits mit Auftritten auf den Biennalen in Lyon 1997 und Venedig 1999 an. Das Centre Pompidou in Paris und die Bawag-Foundation in Wien zeigten darauf seine zuletzt entstandenen extravaganten Malmaschinen, Bären und Hirsche, aus deren Hinterteilen Farbsalven spritzen. Im Hamburger Bahnhof ist er nun allerdings mit Werken der achtziger Jahre vertreten, einer Phase, in der er hunderte Bilder kopfüber zu Spiralen und ansteigenden Treppen stapelte oder aus Gemälden ganze Labyrinthe baute. Zu sehen sind neben zwei Installationen und einer Wandmalerei vor allem Pappmodelle und Konstruktionszeichnungen jener Zeit. Die Berliner Zeitreise führt Jackson also zurück zu den Stätten der Vergangenheit und dockt doch nicht wirklich an die Gegenwart an.

Der Künstler zuckt dazu mit den Schultern. Freundlich lächelnd erklärt er dann, dass es eine große Ehre sei, wenn Mister Flick die Realisierung eines seiner Werke wünsche, die er sich mit dem Kauf des Entwurfs erworben habe. Dass der knapp 70-jährige Künstler die Ausführung selbst übernimmt und nicht Assistenten entsendet, ist eine andere Besonderheit seines Schaffens. Jackson baut bis heute seine Installationen selbst, zieht alleine die aberhundert Leinwände auf und bestreicht sie mit Acrylfarbe. Beim 25 Meter langen Wandgemälde, das nun für den Hamburger Bahnhof entsteht, bekommt der Besucher allerdings nur deren Rückseite zu sehen. Denn der Künstler benutzt die Leinwände wie Pinsel, indem er sie nach einer bestimmten Choreografie über die Galeriewand wischt und in einer bestimmten Position einfach kleben lässt. Zurück bleiben die farbigen Abdrücke dieses gigantischen Bilderballetts, die Spuren der kunstvoll gewendeten Leinwände, aus deren Schlieren letztlich das Wandgemälde entsteht.

In seinem farbverspritzten Overall steht der hagere, braun gebrannte westcoast-Mann nun mitten im Saal 3 der Rieck-Hallen, die der Flick-Collection vorbehalten sind. Der Saal gleicht noch kurz vor der Ausstellungseröffnung einem gigantischen Atelier, denn die komplexe Installation „Big Ordeals“ ist noch nicht fertig. Mitten im Raum stehen riesige dreieckige Gebilde, auf jeder Seite grell bunt bemalt. Sie formen den Unterbau seines begehbaren Gemäldes. Der Besucher betritt dazu einen kleinen Pavillon und fühlt sich mitten in einen Farbwirbel versetzt. Auch die riesige Wandmalerei ist ins Stocken geraten. Richard Jackson ist mit einer Passage gar nicht einverstanden. Trotz genauester Vorausberechnungen hat er sich bei der passgenauen Drehung einer Leinwand geirrt und muss nun warten, bis die Übermalung mit Wandfarbe getrocknet ist und er wieder weiterarbeiten kann – im schlimmsten Fall bis in die Nacht, damit die Vernissage termingerecht stattfinden kann.

Über die Schulter schauen lässt er sich dabei nicht. Die Entstehung bleibt Privatangelegenheit. Diese Strenge macht stutzig, denn eigentlich ist Jackson angetreten, den Prozess der Malerei zu dekonstruieren. Was mit den kopfüber gestapelten Leinwänden begann, bei denen nur noch die seitlich auslaufende Farbe daran erinnert, dass es sich um reale Gemälde handelt, fand seine Steigerung in den Neunzigern mit den Malmaschinen. Zumindest im Modell ist davon ein Beispiel zu sehen: ein Spielzeug-VW-Käfer, an dessen Heck sich ein Ventilator befindet. Bei laufendem Motor, so sähe die Umsetzung aus, würde er wild wirbelnd Farbe verteilen.

Richard Jackson ist ein Phänomen. Seine Hirsch-Installation erinnert an Bruce Nauman, die Farbspritzerei an Paul McCarthy, die schiere Größe seiner Wandgemälde wiederum an Jackson Pollock, dessen dripping-painting er ebenfalls zitiert, die Methode des Leinwandabdrucks könnte dagegen von Yves Klein stammen, die farbigen Streifen seiner zweiten großen Installation im Hamburger Bahnhof erinnern an Daniel Buren, die klare Ordnung der gedrehten Leinwände an den Minimalisten Sol LeWitt. Jacksons Werk speist sich aus zahllosen Quellen und ist doch eine genuin eigene Position. Diese merkwürdige Zwitterstellung erklärt auch seine späte Entdeckung. Vielleicht stößt er mit seiner programmatischen Abwendung vom Gemälde die nächste Gegenbewegung zum Malereiboom an: Der späte Jackson wäre dann einer der Ersten.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50- 51, bis 19. August; Di – Fr 10 – 18, Sa 11 – 120, So 11 – 20 Uhr.

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