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Maler Marc Brandenburg: Meschugge geht die Welt zugrunde

Vom Punk zum Maler: Marc Brandenburg hält mit dem Bleistift Nachtgestalten und Wasserspiele fest.

Die Welt steht still auf diesen Bildern, die Zeit hält ihren Atem an. Passanten schleichen an einem abgetakelten Wohnwagen vorbei, auf dessen Heck ein riesiges Smiley-Gesicht prangt. Menschen in geschmackloser Freizeitkleidung verbergen ihre Köpfe hinter hochgerissenen Händen, als wären sie Prominente, die sich vor Paparazzi fürchten. Ein Fußballfan steht ratlos im Straßenbild, seine mit Vereinsemblemen benähte, von einem Dutzend Schals gesäumte Jacke wirkt wie ein Priestergewand. Marc Brandenburg verdreht die Motive auf seinen Bleistiftzeichnungen in ihr Negativ: Schwarz ist weiß, Weiß wird schwarz. Der Grafit auf den Blättern schimmert metallisch und scheint alles Licht in sich aufgesaugt zu haben. Auf Großformaten verschwimmen die Kompositionen zu grauen, schwarzen und weißen Streifen. Am Bildrand taucht ein Totenkopf auf. Gespenstischer Hyperrealismus, aufgeladene Abstraktion.

„Bonkers“, meschugge, heißt die Ausstellung bei Contemporary Fine Arts, der international arrivierten, in luxuriösem Ambiente am Kupfergraben residierenden Galerie. Marc Brandenburg zählt bereits länger zu den wichtigsten deutschen Gegenwartskünstlern. Seine Bilder kosten zwischen 8000 und 27 000 Euro, und etliche sind bereits wenige Tage nach Ausstellungseröffnung verkauft. Geschaffen hat Brandenburg die zwei Dutzend Zeichnungen allesamt – bis auf eine – in den Wochen nach Weihnachten. Er stand unter Druck, weil er vorher noch das Bühnenbild und die Kostüme für ein Stück von Bruce LaBruce zu entwerfen hatte. Druck ist gut für ihn, er arbeitet gern bis an den Rand seiner Kräfte. „Mir bleibt auch gar nichts anderes übrig“, sagt er. „Aber wohlfühlen tue ich mich dabei nicht.“

Vor vier Uhr nachts geht Marc Brandenburg selten ins Bett, und um zehn Uhr steht er wieder auf. Ein preußisches Pflichtgefühl, das zum Künstlernamen passt. Beim Interview trägt er ein schwarzes Fred-Perry-Polohemd zur schwarzen Cordhose, er wirkt gleichzeitig konzentriert und verplaudert. Er arbeitet grundsätzlich ohne Assistenten und verzichtet beim Zeichnen auf technische Hilfsmittel. Als Vorlagen benutzt er in der Regel eigene Schnappschüsse, die er am Computer ins Negativ wendet oder abstrakt verzerrt und dann in Bleistiftschraffuren getreulich zu Papier bringt. Er spricht von „rauschhaften Sessions“ und „selbst auferlegter Qual“. Seine Bilder tragen keine Titel, fügen sich aber zu Serien. An der Auswahl der Motive feilt er lange.

Die Menschen auf den Bonkers-Blättern wirken wie Gespenster, nur eine Figur zeigt ihr Gesicht. Der grinsende Mann ist ein psychisch Kranker, der eines Abends im Möbel-Olfe am Tresen saß. In der Kreuzberger Trinkhalle war Brandenburg früher Barmann, genau wie im legendären Club Berghain. Psychedelische Verspieltheit und schwuler Untergrund mischen sich in den Zeichnungen, sie ergeben auch eine persönliche Chronik, die weit zurückreicht. Auf einem Bild hat ein Mann einen Plastikhandschuh über seinen Kopf gezogen und bläst ihn auf. Es ist der Großkünstler Damien Hirst, der vor 15 Jahren in London mit Brandenburg Billard spielte und ihm anschließend bei einer Taxifahrt durch die Nacht dieses Kunststück vorführte. Den Fußballfan hat Brandenburg am Hermannplatz in Neukölln fotografiert. „Es geht weniger um Fußball als um männliche Rituale und exzessives Verhalten“, sagt er. „Schönheit interessiert mich nicht als Motivwahl. Es sind eher verstörende Bilder, die mich anregen.“

Marc Brandenburg wurde 1965 als Kind eines afroamerikanischen GIs und einer deutschen Mutter in Berlin geboren. Im Alter von drei Jahren zog er nach Detroit, mit zwölf kam er zurück nach Berlin. Mit dem Soul von Curtis Mayfield und Aretha Franklin ist der spätere Punk, Straßenjunge, Türsteher und Kunst-Autodidakt aufgewachsen. Michael Jackson tauchte von Anfang an immer wieder in seinen Arbeiten auf. Das Porträt in der aktuellen Ausstellung – der King of Pop zeigt sich in kumpelhafter Daumen-hoch-Pose – hat Brandenburg „in memory“ gleich nach dem Tod des Sängers gefertigt.

Er sieht den Exzentriker als ein „personifiziertes Extrakt der Gesellschaft“. Michael Jackson habe geholfen, die schwarze Bevölkerung in den USA ruhig zu stellen, „weil er dem weißen Amerika als Aufstiegsmodell diente und er dankend zu seinen Bedingungen annahm“. Eine Parallele zu Barack Obama liegt nahe: Sie konnten mehrheitsfähig werden auch bei Weißen, weil sie den äußerlichen Klischees von Schwarzen nicht entsprechen.

„Würde Obama wie James Brown aussehen, wäre er niemals zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden“, sagt Brandenburg. Kurz nach den Wahlen hatte er mit ähnlichen Äußerungen erregte Blog-Debatten ausgelöst. Das Gegenstück zum Rausch ist die Entsagung. Brandenburg experimentiert gerne, in der Abstraktion arbeitet er an der zunehmenden Verflüssigung seiner Bildideen.

Einen besonders starken Eindruck hinterlassen ausgerechnet die unscheinbarsten Blätter der Ausstellung. Die Wasserspringbrunnen vom Lustgarten erscheinen in seinen nachtdunklen Zeichnungen wie in Schönheit erstarrte Skulpturen. Nur gut 30 mal 20 Zentimeter groß, hängen die Fontänen in einem Raum an drei Wänden. Das Galeriegebäude wurde von David Chipperfield entworfen, durch die Panoramascheibe der vierten Wand geht der Blick auf das Neue Museum, dessen Wiederaufbau ebenfalls Chipperfield verantwortete.

Zu hören ist minimalistische elektronische Musik, komponiert von Moritz von Oswald und Max Lodenbauer. Sie hatten die Zeichnungen von einem Computerprogramm in digitale Sounds umsetzen lassen und daraus Tonfolgen entwickelt. „Mir gefiel die Idee, dass die Arbeit fast komplett von Technik bestimmt wird und nicht von Geschmack oder Romantik“, sagt Marc Brandenburg. Man hört es knistern und knacken, ein sphärisches Rauschen, dazu schwenken gegenüber auf der Baustelle der Museumsinsel Kräne ihre Arme lautlos durchs Bild. Ein irres Ballett.

„Bonkers“, Contemporary Fine Arts, Am Kupfergraben 10, bis 24. April, Di–Fr 10–18, Sa 11–16 Uhr.

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