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Kultur: Maler & Modell

Rüdiger schaper über Jörg Immendorff und den Skandal Wir wissen nicht, ob Caravaggio der erste war, dem ein römisches Straßenmädchen für ein Madonnenbild Modell saß. Aber der Fall ist überliefert, wie so viele Exzesse aus der Biografie des 1608 ermordeten schwulen Malers.

Rüdiger schaper über

Jörg Immendorff und den Skandal

Wir wissen nicht, ob Caravaggio der erste war, dem ein römisches Straßenmädchen für ein Madonnenbild Modell saß. Aber der Fall ist überliefert, wie so viele Exzesse aus der Biografie des 1608 ermordeten schwulen Malers. Mit Caravaggio zog das Skandalon in die Kunstgeschichte ein – und wurde nachgerade zum Synonym für Kreativität und Genie. Die allgemeine Auffassung, ja die Verhaltensvorschrift, was ein Künstler sei und wie er lebe, hat sich im 19. Jahrhundert fixiert: ToulouseLautrec, Montmartre, La Bohème! Später, bei Otto Dix oder George Grosz und ihren ausgemergelten Nuttengestalten kam – vordergründig – das soziale Gewissen hinzu, welches die Pop-Artisten schließlich durch Glamour ersetzten. Ob Andy Warhol bei seinen Orgien Teilnehmer war oder zahlender Guru und Voyeur, spielt für diese Tableaux Vivants, diese Menschenfischer-Skulpturen keine Rolle.

Der Fall Jörg Immendorff weckt all diese gut trainierten Assoziationen – wie da ein Malerfürst mit Koks und Geldbündeln um sich wirft und sich eine ganze Fußballmannschaft käuflicher Bräute ins Luxushotel bestellt. Dass die „Bild-Zeitung“ die Skala des Sozialneids durchspielt, liegt auf der Hand. Aber was ist das Bewegende, Aufregende an dieser Geschichte?

Vielleicht, dass die Skandale in Deutschland kein Ende nehmen. Friedman, Schill/von Beust und Immendorff: als feierte die Republik eine unappetitliche Dauerparty, ein rauschhaftes Prominentenkegeln. Man kann es auch anders sehen: Skandale sind das Futter einer freien Gesellschaft, denn sie setzen Öffentlichkeit voraus. Hitler war Nichtraucher, Vegetarier und womöglich auch noch impotent oder asexuell. Skandale, siehe Hamburg, haben auch ein befreiendes, kathartisches Element. Doch bei Immendorff beschleicht einen ein seltsames Gefühl. Eine Art Ernüchterung.

Die Düsseldorfer Orgie – was man darüber wissen kann – hat etwas zwanghaft Barockes. Ein einsames Vergnügen. Elf Prostitutierte hat der Mann bestellt. Nach jüdischem Glauben bleibt ein Gerechter elf Monate in der Hölle, ein Sünder zwölf. Das Matthäus-Evangelium erzählt das Gleichnis von den zehn Jungfrauen. In der Zahlenmystik steht die Elf für die Überschreitung des Vollkommenen – für Gefahr und Sünde. Blasphemisches schwingt da im Hintergrund mit, oder auch nur männliche Selbstinszenierung. Und schließlich wurde der Maler, Hochschullehrer und Kanzlerfreund, der an einer Muskelkrankheit leiden soll, verraten. An die Düsseldorfer Polizei verpfiffen.

In der Kunstszene war in den letzten Jahren viel von der Rückkehr der Malerei die Rede, nach all den Videos und postmodernen Sachen. Deren Produzenten verbreiten kaum mehr das Genialische der alten Leinwand-Helden, sie kommen eher daher wie Bastler und Tüftler. Was Immendorff, dieser schier anachronistischen und bekennend amoralischen Figur, nun droht – nicht wegen der elf Frauen, sondern wegen des über dem Grenzwert liegenden Kokainbesitzes –, ist der Rücksturz in die kunstlose Realität. Anklage, Gerichtsverfahren, womöglich Gefängnis. Spätere Generationen können daraus eine astreine Künstlerbiografie stricken, der es an nichts fehlt; siehe Caravaggio.

Nur, man kann und will sich einen Immendorff im Knast nicht vorstellen. Ebenso schwer fällt es, von einem Künstler zu verlangen, dass er in Würde altere. Ein Maler, elf Frauen und die Polizei – was für ein verunglücktes Abendmahl.

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