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Schleime

© Hurek

Malerei: Die verratene Liebe der Cornelia S.

Ein Stasispitzel belog sie, der zweite verließ sie. Wie die Malerin Cornelia Schleime ihr Trauma literarisiert.

Einen Moment lang beschleicht einen im halbdunklen Treppenhaus dann doch Unsicherheit: Wem wird man gegenüberstehen – Cornelia oder Clara? Die Antwort muss warten, denn zuerst begegnet man Jackie, einem Airdale Terrier, der bellend aus der Wohnungstür geschossen kommt. Er wird zurückgepfiffen: „Jackie, du stehst jetzt mal nicht im Mittelpunkt.“ Die Frau, die diesen Satz sagt, steht derzeit umso mehr im Mittelpunkt. Sie bekommt viel Besuch in diesen Tagen, und fast jeder Besucher stellt die gleiche Frage: Frau Schleime – sind Sie die Hauptfigur Ihres Buches?

Der Malerin Cornelia Schleime ist ein erstaunliches Kunststück gelungen. Sie hat innerhalb weniger Wochen einen kleinen, gerade 110 Seiten langen Roman geschrieben, ein furioses Debüt, das vieles auf den Kopf stellt und manches zurück auf die Füße. Wer Cornelia Schleime derzeit in ihrer Atelierwohnung im Prenzlauer Berg besucht oder in ihrem Haus im Brandenburgischen, der wird viele Einzelheiten aus dem Buch an der Autorin wiedererkennen. Bis in ihre Gebärden hinein hat sich der Roman ihrer bemächtigt. „Weit fort“, so der Titel des soeben bei Hoffmann und Campe erschienenen Romans, der in Wirklichkeit sehr nah dran ist an Cornelia Schleime. Kein Zufall also, dass ihr eigener Vorname bis auf wenige Buchstaben dem ihrer Romanheldin Clara entspricht.

Cornelia Schleime selbst also ist diese gebürtige Ostberlinerin Clara, eine Frau Mitte fünfzig, die in Dresden Kunst studiert hat und nach einem Ausstellungsverbot zunächst als Punksängerin reüssiert. Gemeinsam mit dem Lyriker und Musiker Sascha Anderson zieht sie dann nach Berlin, wo sie Teil der berühmten Boheme vom Prenzlauer Berg wird. Hier beginnt sie, ihre üppigen Mädchenakte nicht mehr nur auf Leinwand, sondern auf Keramik zu malen, auf Teller und Tassen, von denen sogar der Kulturminister ein Service bestellt, obwohl er die Malerin und ihre Freunde gleichzeitig mit Attacken seiner Behörde quält. Ständig begleitet Schleime – und Clara – in diesen Jahren ein Gefühl des Ausspioniertwerdens, bis sie nach vier Ausreiseanträgen 1984 endlich in den Westen übersiedeln darf. Ihre Bilder bleiben zurück und verschwinden. Nach der Wende dann erfährt sie aus ihren Stasiakten, wer ihr persönlicher Spitzel war: ihr bester Freund Sascha Anderson. Den Verrat verarbeitet sie künstlerisch, indem sie aus den Stasiberichten Collagen macht.

„Das war ein kollektiver Schmerz“, erinnert sich Cornelia Schleime an jene bittere Zeit der Erkenntnis. „Ich habe das gewissermaßen untergehakt überstanden, indem ich nie das Persönliche darin sah.“ Diese Art der Verdrängung schützte sie. Dann aber, etwa ein Jahr ist das jetzt her, begegnete sie via Beziehungsbörse im Internet einem Mann, der im Roman Ludwig heißt und als Wettervorhersager bei einem bayerischen Fernsehsender arbeitet.

Als Cornelia Schleime über diese Episode spricht, wechselt sie unwillkürlich in die dritte Person, sie sagt nicht „ich“, sondern „Clara“, wenn sie über das Verhältnis zu Ludwig spricht. Als Clara also Ludwig bei zwei rauschhaften persönlichen Begegnungen von ihrer Vergangenheit als Stasiopfer erzählt, lassen seine ausweichenden Reaktionen in ihr den Verdacht aufkeimen, dass sie erneut an einen ehemaligen Stasispitzel geraten ist. Auch bei Ludwig scheint die Konfrontation mit Clara etwas freizusetzen, die Angst vor Enttarnung womöglich, das Eingeständnis eines verpfuschten Lebens. Er entzieht sich komplett. Zurück bleibt für Clara-Cornelia eine Leere, die sie diesmal nicht erträgt, weil sie ihr Leid nicht mehr teilen kann.

An diesem Punkt der Erzählung fällt ein lachend hingeworfener Satz, der die gespannte Atmosphäre in der Atelierwohnung ein wenig erträglicher macht. „Ich bin nicht Clara“, sagt Schleime. „Die ist viel verrückter als ich.“ Während der Affäre, fährt sie dann fort, als sie um ein Wort der Aufklärung von Ludwig barmte, um eine Begründung für das abrupte Ende der Beziehung, habe sie die Koinzidenz kaum fassen können: dass sie gleich zwei Mal in ihrem Leben von einem Stasispitzel verraten wurde. Der Schock sitzt tief, weil sie diesen Verrat bis dahin für eine DDR-Angelegenheit hielt. Die Frage nach Schuld und Vergebung aber stellt sich auch noch zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall – solange Täter und Opfer eben am Leben sind, ähnlich wie nach dem Ende des Dritten Reichs. Mit dem jeweiligen System habe das nur entfernt zu tun, sagt Cornelia Schleime, die dramatische Tragweite ihres Stoffs unterstreichend.

Zunächst, um sich zu befreien, dann, um künstlerisch Funken aus dem Material zu schlagen, begann die Malerin, wie eine Besessene zu schreiben. Nach zwei Monaten stand das erste Manuskript. Länger wäre es auch nicht gegangen, sagt Schleime kokett, denn am Schreibtisch werde sie zur Kettenraucherin. In einem Gemälde aber hätte sich die Geschichte nicht fassen lassen, sagt sie. „Ein Bild ist geronnene Zeit. Darin sind die inneren Gefühle versiegelt, sie werden in die Fläche gedrückt.“ In der Romanform dagegen bleibe die „Gefühlsmotorik“ erhalten. Literaturkritiker haben Schleime einen überbordenden Hang zu Metaphern vorgehalten, der typisch für Anfänger sei. Schleime kann das nicht verstehen, sie sei schließlich Malerin und wolle es auch bleiben. Auch habe sie den Text ursprünglich gar nicht veröffentlichen wollen. Ein Freund, dem sie das Manuskript zu lesen gab, reichte es weiter an den Hamburger Verlag Hoffmann und Campe, wo der ungewöhnliche Ton Gefallen fand.

Inzwischen arbeitet Schleime schon am nächsten Schreibprojekt, diesmal aus der Perspektive eines Mannes. Anfang und Ende stehen, nur der Mittelteil fehle, sagt sie schulterzuckend. Möglicherweise werde sie das zweite Buch auch nie beenden. Vielleicht, weil das erste so stark ist.

Cornelia Schleime: „Weit fort“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, 112 Seiten, 14,95 Euro. Die Galerie Michael Schultz (Mommsenstr. 34, Charlottenburg) zeigt ab 26. April Gemälde der Künstlerin unter dem Titel „Love Affairs“.

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