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Kultur: Malerei macht Geschichte

Berühmt für seine politisch-poetische Kunst: Luc Tuymans über Krieg, Attentate und Flick

Herr Tuymans, Sie werden als „Retter“ der Malerei gefeiert, als ein Künstler, der den Bildern wieder Inhalte verliehen hat. Sehen Sie sich als Vorbild?

Nein. Ich halte das Infragestellen der Malerei, ob sie nun tot oder lebendig ist, ohnehin für überflüssig. Ebenso die Frage, ob sich die Malerei regeneriert hat. Selbst zu Zeiten, in denen sich die Malerei als Medium nicht im Zentrum der aktuellen Auseinandersetzung befand, war sie höchst einflussreich. Denken Sie nur an die späteren Arbeiten des amerikanischen Videokünstlers Bill Viola, in denen er Malerei in Anspruch nimmt für das bewegte Bild und gleichzeitig slow motion einsetzt. Letztlich bedient er pikturale Mittel. Dann wundert es auch nicht, wenn sein Werk in Konfrontation mit wirklichen Gemälden in der National Gallery durchfällt. Das Immobilisieren eines Bildes ist etwas ganz Spezifisches. Malerei ist auf die Dauer angelegt, kein Event. Deshalb ist es auch so schwierig für eine bestimmte Ausstellung, für eine bestimmte Biennale ein Werk zu schaffen im Sinne einer Aktualität. Das wäre dann reiner Populismus und Malerei würde zur profanen Erscheinung. Aus diesem Grund interessieren mich auch irgendwelche Nachahmer nicht im geringsten.

Aber es bleibt doch Ihr Verdienst, politische und zeitgeschichtliche Themen wieder in die Malerei zurückgeholt zu haben?

Man hat diese Möglichkeit unterschätzt angesichts des Anachronismus von Malerei. Viele haben nicht mehr geglaubt, dass sie in der Lage ist, einen Kommentar zu einem bestehenden Diskurs abzugeben. In meinem Beitrag für den belgischen Pavillon auf der Biennale di Venezia 2001 über die Kolonialherrschaft Belgiens in Afrika war das aber auf den Punkt gebracht, denn damals arbeitete sogar die Lumumba-Kommission noch. Malerei hat eine ganz andere Zeitrechung als die reale Zeit. Sie ist deshalb hervorragend geeignet, sich mit Geschichte auseinander zu setzen.

Sehen Sie sich als Historienmaler?

Nein, denn meine Malerei ist viel zu subjektiv. Ihre Zerbrechlichkeit, ihre Transparenz hat nichts mit den propagandistischen Ideen der damaligen Historienmaler zu tun. Bei mir steckt eine privatere, subjektivere Einstellung zur politischen Welt dahinter.

Woher kommt bei Ihnen diese intensive Auseinandersetzung mit Geschichte?

Das hat bei mir nichts mit Humanismus oder Moral zu tun, sondern mit Bedeutungsschichten und wie sie ins Bild gebracht werden können, so dass sich das Blickfeld erweitert. Im Grunde sind auf den Bildern ungeheuer banale Dinge zu sehen, die durch ihre Verdichtung wieder aktiviert werden. Der Betrachter muss sich einfühlen, und schon tritt er in Interaktion mit der visuellen Welt. Mir ist die Idee vom mystischen, mythischen Künstler fern, wie ihn so mancher deutsche Maler – etwa Anselm Kiefer – mit seinen Großformaten elaboriert hat, der dann am Ende in die Falle seiner eigenen Repräsentierung tappt. Meine Obsession besteht darin, zwischen der privaten Welt und einer Welt, die das Private bedingt, die Mitte zu finden.

Wollen Sie mit der kalkulierten Unschärfe in Ihren Gemälden eine vage Erinnerung, ein kollektives Bild evozieren?

Es geht nicht so sehr um Gelingen oder Misslingen, sondern um ein Misstrauen gegenüber der eigenen und der allgemeinen Bilderwelt. Derrida hat einmal gesagt, dass Wörter nicht im Stande seien, die Wirklichkeit zu erklären. Das Gleiche gilt für Bilder. Aber sie können geschichtliche Kontexte herstellen, und das traue ich mir zu.

Glauben Sie an die aufklärende Kraft von Kunst?

Um es wieder mit Derrida zu sagen, der von Differenz gesprochen hat: Es gibt unterschiedliche Erfahrungslevels, mit denen man Dinge sieht. Wir können zwar miteinander sprechen, aber die Bilder sind eigentlich stumm. Im Grunde ist das schon ein politisches Statement. Mir geht es um die Spannung zwischen dem Sein und Nichtsein, diese Lücke zwischen den beiden Polen, das Nicht oder Nochnicht.

Als Antwort auf den 11. September haben Sie ein riesiges Gemälde mit Früchten geschaffen. Wollten Sie damit also eine gezielte Widersprüchlichkeit herstellen?

Es wurde zum ersten Mal auf der 11. Documenta in Kassel gezeigt, wo die Erwartung nach meinem hoch politischen Beitrag für den belgischen Biennale-Pavillon eine ganz andere war. Ich habe das Attentat als Attacke auf meine eigene Ästhetik empfunden. Wie also darauf reagieren, wo es unmöglich war, dieses Bild noch einmal zu wiederholen? Ich kam auf die Idee einer heilen Vorstellung, einer Idylle, wohinter auch ein zynischer Trieb steckt. Aber man kann nun mal ein Kunstwerk nicht politisch aufladen; es kann höchstens zu einem bestimmten Zeitpunkt eine politische Bedeutung gewinnen. Deswegen auch die Idee des Stilllebens, der ganz großen Banalität.

Als Vorlage für dieses Bild hat Ihnen ein Werk von Cézanne gedient. Meist benutzen Sie jedoch zur Vorbereitung Zeitungs- und sogar Filmausschnitte. Bevor sie sich Mitte der Achtziger wieder ganz auf die Malerei verlegten, haben Sie sich vier Jahre lang nur dem Film gewidmet. Welche Auswirkung hatte dies auf Ihre Malerei?

Das hatte viel Einfluss auf meine Malerei. Für mich ist in allen Medien die Idee des Dokuments wichtig, seine Verwendung: wie es aufgewertet wird, falsch oder richtig eingesetzt ist, auch im persönlichen Kontext eines Künstlers. Das macht es ja auch zur Gegenwart. (lacht) Darin liegt die Ironie. Ich habe einen unersättlichen Hunger auf Bilder, bin immer auf der Suche nach Bildern. Dahinter steht immer die Frage: Was ist Qualität im Vergleich zur Quantität? Die Malerei ist dafür unglaublich geeignet und deswegen auch so brisant.

Aus der Flut der Bilder ziehen Sie ein Beispiel heraus, das dann paradigmatisch die gesamte Situation verkörpern soll. Das können nicht nur historische, sondern auch zeitgeschichtliche Motive sein – wie beim Golf-Krieg.

Das waren die vier, fünf US-Piloten im Palast von Saddam Hussein, von denen sich der eine sich ziemlich breitbeinig im Sessel ausstreckt. Das sah aus wie ein Bild aus einem Puff im 19. Jahrhundert. Genau diese Verschiebung in der Datierung interessierte mich. Es könnte auch aus dem Ersten Weltkrieg stammen. Mir war wichtig, dass wenig Spezifisches zu erkennen ist, keine Gesichter, dass nur die Handlung zu sehen ist, die außerhalb der Aktualität zu stehen scheint. Ich versuche mit meinen Gemälden ein bestimmtes Misstrauen zu implementieren, sie rufen immer eine Ambiguität hervor. Diese Bilder dienen nicht dem Genuss oder der Repräsentation, sondern sind Inhaltsträger, die zum Neuerfassen oder wenigstens Neubefragen motivieren sollen.

Ist nicht die Berliner Flick-Collection das beste Beispiel dafür, dass dies auch schiefgehen kann? Die ausgestellte Kunst wird häufig nur noch vor dem Hintergrund der Zwangsarbeiter-Debatte gesehen.

Das ist eine ziemlich komplizierte Geschichte, schließlich war Flick damals ein Kind. Andererseits gibt es das Kapital, die Familie. Ich habe ihm geraten, als Geste in den Zwangsarbeiter-Fonds einzuzahlen. Die Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit ist schön und gut, aber er sollte sich mit den eigentlich Betroffenen, den Zwangsarbeitern, in Verbindung setzen. Die Ausstellung hätte interessant werden können, aber so wird es immer um dieses eine Thema gehen. Man stelle sich nur vor: Ein ehemaliger Zwangsarbeiter besucht Berlin, die deutsche Hauptstadt, den Hamburger Bahnhof, Nationalgalerie, Preußischer Kulturbesitz und dann sieht er auf den Namen Flick. Die andere Seite ist natürlich die Aussicht, dass die Sammlung einmal der Nationalgalerie gehören soll, die das alles niemals selbst erwerben könnte. Diesen Zwiespalt gibt es immer. Kunst ist nun einmal abhängig, und sie wird als Statussymbol benutzt. Aber dass auch noch an der Kunst Blut hängen soll, ist eine unverschämte Aussage. Nebenbei gefragt: Weswegen macht der Typ das eigentlich? Ist das vielleicht ein Trick? Ohne die Debatte wäre es nur eine weitere große Sammlung gewesen mit den immergleichen Künstlernamen. Durch die Kontroverse ist sie zu etwas Außerordentlichem geworden.

Durch die besonderen Themen Ihrer Werke werden Sie als Person, als Künstler gerne als Beleg dafür genommen, dass die Sammlung politisch korrekt ist. Fühlen Sie sich nicht instrumentalisiert?

Ob ich in der Ausstellung sein will oder nicht, spielt keine Rolle. Der Typ zeigt seine Privatsammlung und er besitzt einfach Arbeiten von mir. Der Kunstmarkt hat es ihm ermöglicht, meine Bilder zu kaufen. Der Markt macht keinen Unterschied, auch wenn das zynisch klingt. Eigentlich ist daran nichts Schockierendes. Mich schockiert vielmehr, wie einige Leute auf moralischer Ebene eine Debatte darüber in Gang setzen, was Kunst dann sein sollte. Wenn man dann auf die politisch korrekte Ebene kommt, dann wird es grausam. Die ganze political correctness ist doch totale Verblödung, vor allem in der Kunst. Damit erreicht man nur das Gegenteil.Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

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