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Kultur: Malerin, Muse, Medium

Manfred Flügges Biografie von Eva Herrmann.

Sie sei „ein scheues Geschöpf“ gewesen, „an das nicht leicht heranzukommen war“, soll Thomas Mann über die Malerin und Hausfreundin Eva Herrmann geäußert haben. Erstaunlich, denn ihm dürfte kaum entgangen sein, wie nahe sein kalifornischer Nachbar Lion Feuchtwanger oder sein Weimarer Gastgeber 1955, Johannes R. Becher, an sie „herangekommen“ waren: Feuchtwanger nannte sich ihr amant Nr. 13 und notierte im Moskauer Tagebuch, er habe eine Verhandlung im Radek-Prozess versäumt und „lieber mit Eva gevögelt“. Und Johannes R. Becher, ihr amant Nr. 1, von dem sie behauptete, sie sei ihm als Jungfrau begegnet.

Mit ihm war sie verlobt, mit den Kindern der Familie Mann mehr oder weniger „zärtlich“ (Klaus Mann) befreundet. Mit dem gemeinsamen Jugendfreund Ricki Hallgarten glaubte sie sich über dessen Freitod hinaus mystisch verbunden. Herrmann war Spiritistin und die letzten Jahre ihres Lebens als Medium damit beschäftigt, Botschaften ihrer lieben Verstorbenen zu übermitteln. So auch die zitierte Erinnerung Thomas Manns, die er ihr zwei Jahrzehnte nach seinem Tod als Nachwort zu ihrem Buch „Von drüben“ (1976) aus dem Jenseits diktiert haben soll.

Er habe immer gespürt, heißt es darin, dass hinter ihrem „verschlossenen Wesen etwas am Werk war, was ich nicht benennen konnte“ – vor allem die Geister der Verstorbenen und mehrfach Wiedergeborenen. Dazu zählten, als sie im Alter in einer Siedlung der esoterischen Vedanta-Gesellschaft lebte, die Geister ihrer früheren Liebhaber und Freunde wie Aldous Huxley, Ricki Hallgarten und Klaus Mann.

Kein Zweifel: Eva Herrmann war die Geliebte und Freundin bedeutender Männer. Aber war sie auch, wie ihr Biograf Manfred Flügge im Titel seines Buches suggeriert, die „Muse des Exils“? Als Malerin war sie, nach dem Urteil des ihr befreundeten, später entfremdeten Golo Mann, nur „mittelmäßig, aber ihre Karikaturen waren ausgezeichnet“.

Eine Muse scheinen ihre zahlreichen Freunde auch gar nicht in ihr gesucht zu haben: Johannes R. Becher verlangte von ihr: „Gelt, Liebste, wenn Dir etwas an mir liegt, dann studierst Du etwas den Bucharin.“ Wolfgang Hallgarten warf ihr vor, seinen Bruder Ricki in den Selbstmord getrieben zu haben. Feuchtwanger setzte ihr in seinem Roman „Exil“, so Flügge, ein eher „zweifelhaftes Denkmal“ in der Gestalt einer alternden Jüdin („und er meinte es zärtlich“). Klaus Mann fand es „merkwürdig, dass sie die Geliebte des garstigen kleinen Feuchtwanger ist“. Trotzdem lieh er sich ihr Pin-up-Foto für seinen Spind in der US-Armee, um nicht als schwul erkannt zu werden.

Wenigstens den Fotografen Alfred Stieglitz, einen Freund ihres Vaters und Ehemann der Malerin Georgia O’Keeffe, scheint sie als Künstler inspiriert zu haben: Seine Fotos von ihr, so Flügge, zeigen „nicht das stolze Profil der Gemme“, wie sie von Freunden gerufen wurde, sondern eine „entspannte, heitere, befreite Frau in der freien Natur des Großen Waldsees stehend, von dem befreundeten Fotografen bewundernd abgelichtet“. Muse oder nicht: Eva Herrmann muss eine faszinierende Person mit der schillernden Aura eines bis zur Neige gelebten Lebens gewesen sein. Als deutsch-amerikanische Jüdin geboren, katholisch erzogen und durch Becher und Feuchtwanger in den Bann des Kommunismus geraten, bevor sie über Frankreich in die USA emigrierte, zog sich ihre Spur, die Flügge mit Staunen und Respekt rekonstruiert, durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Auch mit Spaß an Pointen, wenn er eine Lesung im Hause Mann aus „Dr. Faustus“ im Oktober 1947 beginnen lässt: „Feuchtwangers brachten zwei Flaschen Champagner mit, Ludwig Marcuse und Alfred Neumann ihre Frauen, Eva Herrmann kam allein.“

Ebenso amüsant zu erfahren, dass sie Becher 1947 amerikanische Hemden, Anzüge und Sonnenbrillen nach Berlin schickte, in Erinnerung daran, dass sie ihn schon in ihrer Jugend am Kölpin-See eingekleidet hatte: „Nun trug der kommunistische Funktionär also Kleider aus USA.“ Ihren Briefwechsel mit Becher überließ sie der Ostberliner Akademie der Künste und meinte, dass die Nachwelt, „da sie ihn nun zu einer Art Nationalhelden gemacht haben, ein Anrecht auf ein weniger liniengetreues Bild von ihm hat“. Übrigens auch von Eva Hermann, dafür hat der getreue Biograf Flügge mit Archivrecherchen und Zeitzeugengesprächen gesorgt. Nur auf ein Nachwort von ihr aus dem Jenseits verzichtete er.Hannes Schwenger

Manfred Flügge: Muse des Exils. Das Leben der Malerin Eva Herrmann. Suhrkamp/Insel, Berlin 2012, 431 S., 24,95 €

Hannes Schwenger

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