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Kultur: „Man darf sich nicht zum Fraß vorwerfen“

Vor der Premiere: Campino und Birgit Minichmayr über die „Dreigroschenoper“ und Brechts Punk-Philosophie

CAMPINO: Wie geht’s?

Danke, gut. Wie weit ist denn die Baustelle?

CAMPINO: Ich bin kein Architekt, aber als Amateur würde ich sagen: Es bleibt spannend bis zur letzten Minute. Zuschauerraum und Bühne sind inzwischen betretbar. Ein paar Sitze gibt es auch schon. Aber sonst ist der Admiralspalast wie ein Rohbau. Überall liegt noch Zement und Schutt rum.

BIRGIT MINICHMAYR: Deshalb proben wir nachts. Tagsüber sind die Bauarbeiter da.

CAMPINO: Solange das Ordnungsamt die Sache freigibt, schadet der Bauschutt ja nicht. Wichtig ist, dass die Technik funktioniert. Für den Fall, dass die nicht läuft, stellen wir uns darauf ein, auf einem Parkplatz zu spielen.

MINICHMAYR: Gespielt wird auf alle Fälle.

Campino, Sie stehen erstmals auf einer Theaterbühne. Was ist das für ein Gefühl?

CAMPINO: Wie wenn ein Kneipenfußballer einen Monat beim FC Bayern mittrainieren darf. Da staunt man, wie exakt die mit dem Ball umgehen. Aber ich versuche gar nicht, dem nachzueifern. Ich muss meine eigene Linie finden.

Erhalten Sie eigentlich Gesangsunterricht? Oder macht das Regisseur Brandauer?

CAMPINO: Nein, wir üben die Lieder mit dem Dirigenten ein. Keiner bekommt beigebracht, wie er das hohe C zu singen hat. Nach 25 Jahren in einer Band wäre das auch eine ziemlich späte Idee. Auch wenn sie vielleicht gut ist.

Brandauer war am Max-Reinhardt-Seminar in Wien Ihr Lehrer, Frau Minichmayr. Aber wie ist er auf Sie gekommen?

CAMPINO: Er hat sich in unserem Büro gemeldet, als er in Düsseldorf war. Wir trafen uns, und er hat mir von der Dreigroschenoper erzählt. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass er jemanden braucht, der im Vorspiel das Haifischlied singt. Als es aber um Mackie Messer ging, war ich überrascht. Doch ich dachte: Ich kann nicht verlieren. Und wenn’s vom Feuilleton eins über die Rübe gibt, gehe ich eine Runde im Grunewald spazieren. Dann geht’s mir wieder gut.

Was ist denn der Unterschied zwischen der Musiker- und der Schauspieler-Bühne?

CAMPINO: Ich weiß jetzt, was ein Subtext ist. Das habe ich zwar im Deutschunterricht gelernt, aber die eigentliche Dimension verstand ich erst hier: Es ist eine nicht enden wollende Diskussion um hundert kleine Facetten. Darüber machst du dir als Musiker keine Gedanken.

Wie hätten Sie denn vor 20 Jahren auf dieses Rollenangebot reagiert?

CAMPINO: Ich hätte mitgemacht, weil der Stoff auch vor zwanzig Jahren schon gut war. Was bitte ist denn elitär an der Dreigroschenoper? Im Gegenteil, ich finde, dass sich wahnsinnig viel deckt mit der Punkphilosophie der späten siebziger Jahre. Die Alben von The Clash behandeln die gleichen Themen: Was ist Bürgertum? Was ist Verbrechertum? Wie doppelbödig ist die Moral der Gesellschaft?

Frau Minichmayr, Sie waren mit Mitte zwanzig dort, wovon viele Schauspieler träumen: am Burgtheater. Warum sind Sie dann zur Berliner Volksbühne gewechselt?

MINICHMAYR: Es war verführerisch, aus dem Burgtheater eine Endstation zu machen. Du spielst tolle Rollen, aber ich hatte keine Lust mehr auf Wien, denn ich bin dort auch schon zur Schauspielschule gegangen. Es war ein absoluter Glücksfall, dass nach fünf Jahren Burgtheater das Angebot von Castorf kam. Die Volksbühne war die beste Alternative zur Burg. Frank ist ein Theaterwüterich, so einen gibt es anderswo nicht.

War es ein Problem, nun wieder mit Ihrem eher konservativen Lehrer aus der Schauspielschule zusammenzuarbeiten?

MINICHMAYR: Es war eine Freude. Aber natürlich habe ich mich in den letzten drei Jahren verändert, und meine Berliner Zeit hat mich geprägt.

Sie spielen ein Liebespaar. Was fasziniert Polly und Mackie aneinander?

CAMPINO: Sie ist nicht das Dummchen vom Lande, das sie zu sein vorgibt. Im Gegenteil: Sie ist jederzeit bereit, einen Mann durch einen anderen zu ersetzen. Brecht hat Polly in seinem Dreigroschenroman als Schlampe dargestellt, aber das ist sie nicht. Am Ende hat sie die Haltung: Na gut, dann wird Mackie eben gehängt. Da ziehe ich mir ein schönes Kleid an, und das Leben geht weiter. Die tiefere Liebe verbindet Mackie mit der Seeräuber-Jenny. An der scheitert er ja auch.

MINICHMAYR: Ich hasse es, über Rollen zu reden. Das, was man zu sagen hat, steht doch in jeder Inhaltsangabe. Und das, was man spielt, vorher zu erklären, ist so, wie wenn man den anderen seine Unterwäsche zeigt. Aber ich sage jetzt trotzdem was über die beiden. Mackie Messer ist ein Kiezmatador in Soho, über den viele Geschichten kursieren. Polly wird zum Spielball zwischen ihm und ihrem Vater. Ich empfinde sie als große Liebende, dummerweise von jemandem, der sie hintergeht und dauernd zu den Nutten rennt.

Auf der Homepage der Toten Hosen gibt es einen Verweis auf die Inszenierung. Erwarten Sie viele Fans?

CAMPINO: Ich glaube, dass auch Leute, die unsere Musik hören, sagen: Lass uns da mal hingehen. Ich hoffe, dass es ein wesentlich lockererer Abend wird als vor Abonnenten-Publikum. Niemand wird Punkrocklieder erwarten.

Auf der letzten Pressekonferenz war Brandauer regelrecht aggressiv. Verlaufen die Proben auch so explosiv?

MINICHMAYR: Ich erlebe ihn überhaupt nicht aggressiv. Man arbeitet und zieht an einem Strang, um eine schöne Premiere hinzubekommen. Und das ist schwierig, gerade wegen der Bauarbeiten.

CAMPINO: Er versucht, seine Truppe zu schützen. Ein Trainer stellt sich auch vor die Mannschaft. Und manche Trainer machen die Welle, damit sich alle über ihn aufregen und die Spieler ungestört trainieren können.

Bei Beckmann in der Talkshow ist Brandauer aufgestanden und gegangen.

CAMPINO: Zu Recht! Wir wurden eingeladen unter der Prämisse, dass es eine Sondersendung ist und außer uns niemand eingeladen ist. Bei der Ton- und Lichtprobe hieß es plötzlich: Die erste halbe Stunde sitzen Sie hier. Dann kommt Fürstin Soundso, und Sie setzen sich bitte nach rechts. Und wenn die letzten Gäste kommen, setzen Sie sich bitte dahin. Da hat Brandauer gesagt: Es tut mir leid, aber in einer Sendung, in der man sich dauernd umsetzt wie bei der Reise nach Jerusalem – das ist mir zu doof.

Frau Minichmayr, Sie haben sich mal als Existenz-Junkie bezeichnet.

MINICHMAYR: Nein, das wurde über mich und meine Spielweise geschrieben. Monica Bleibtreu hat in einer Laudatio gesagt, ich sei eine „Sich-selbst-Gefährdende“, daraus wurde dann Existenz-Junkie. Es ist ohnehin eigenartig, wie man von anderen eine Biografie übergestülpt bekommt.

CAMPINO: Existenz-Junkie ist ein toller Ausdruck. Bedeutet das lebenssüchtig?

MINICHMAYR: Ja, so was.

CAMPINO: Lebenssüchtig kann ja auch sich-selbst-gefährdend sein.

Ist die Bühne denn existenzgefährdend?

MINICHMAYR: Es kann schon sein, dass du hängen bleibst. Ich hatte mal einen Freund, der dachte irgendwann, er sei wirklich Orgon in Molières „Tartuffe“. Mir ist das Gott sei Dank noch nicht passiert. Ich habe auch kein Interesse daran, Realitäten zu verwechseln.

CAMPINO: Das ist ein interessanter Gegensatz: Als Schauspieler schlüpfst du dauernd in Rollen, uns Musiker wollen die Leute dagegen authentisch. Mit einer Band auf der Bühne zu stehen, das bedeutet bestenfalls ein Stück Selbstdestruktion. Ich habe mal ein Konzert erlebt, in dem der Sänger plötzlich anfing, sich in den Arm zu schneiden. Irgendwann hörte die Band zu spielen auf, und der Sänger rief ins Publikum: Na, wollt ihr mehr? Und dann klatschten die Leute fasziniert, und er hörte nicht auf, bis überall Blut war. In dem Moment habe ich begriffen: Auf der Bühne muss man höllisch aufpassen, dass man diesen Punkt nicht überschreitet. Man darf sich den Leuten nicht zum Fraß vorwerfen.

– Das Gespräch führte Andreas Schäfer.

Birgit Minichmayr , 1977 in Linz geboren, debütierte 1999 am Wiener Burgtheater . 2004 wechselte sie an Castorfs Volksbühne nach Berlin. Auf der Leinwand spielte sie in „Der Untergang“, im Herbst ist sie in Tom Tykwers „Parfüm“-Verfilmung zu sehen.

Campino, 1962 als Andreas Frege in Düsseldorf geboren, ist Sänger und Texter der 1982 gegründeten Toten Hosen . Ein früher Hit der Punkband war „Eisgekühlter Bommerlunder“, ihre jüngste CD entstand live im Wiener Burgtheater.

Die Dreigroschenoper unter Regie von Klaus Maria Brandauer hat am 11. August Premiere, wenn alles gut geht, im Berliner Admiralspalast. Bis 24. 9., Mo – Sa 20 Uhr, So 18 Uhr. Informationen und Tickets: www.die-dreigroschenoper.de

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