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Kunst auf dem Touchscreen. Ein Multimediaguide des Pariser Louvre-Museums. Foto: AFP

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Kultur: Man sieht nur, was man weiß

Audioguides und Apps beim Museumsbesuch werden immer beliebter. Ein Selbstversuch.

Mit dem Finger über das Gerät gewischt, die Kopfhörer in die Ohren – und los geht’s an diesem Septemberabend vor der Neuen Wache Unter den Linden. Eine sonore Männerstimme spricht über Klassizismus und Käthe Kollwitz’ Bronzeskulptur „Mutter mit totem Sohn“. Dazu zeigt das Smartphone historische Fotos der Wache. Und weiter zum Alten Museum oder zur Friedrichswerderschen Kirche: Die sind schließlich nur 500 Meter entfernt, wie der „audio guide berlin“ verrät.

Smartphone-Apps wie die zur Schinkel-Ausstellung im Kupferstichkabinett gibt es immer häufiger, meist kostenlos. Kleine Programme, die über Künstler und ihre Werke informieren, vor oder während des Museumsbesuchs. Applications ergänzen und ersetzen zunehmend den klassischen Audioguide.

An den technischen Hilfsmitteln, die Museen in immer größerem Maße anbieten, scheiden sich die Geister. Viele Besucher nutzen sie – im Pergamon-Museum sind es über 90 Prozent – und bleiben deshalb länger im Museum. Andere schimpfen auf den „Multimedia-Irrsinn“ und die „Bankrotterklärung an die eigene Kreativität“(„FAZ“). Auch in den Museen gibt es Kritiker der digitalen Revolution in den Tempeln der Kontemplation. Das Kunstmuseum Wolfsburg gibt es schon seit fast 20 Jahren, den ersten Audioguide hat man erst kürzlich zugelassen, zur Frank-StellaRetrospektive. „Wir finden, Sehen und Hören passen nicht gut zusammen“, sagt Pressesprecherin Rita Werneyer, „haben aber auf den Wunsch von Besuchern reagiert.“ Wenn die Begeisterung nicht zu groß ist, werde man in Zukunft aber wieder darauf verzichten, so Werneyer.

In Kassel ist man schon weiter. Bei der Documenta 2007 waren noch Audioguides im Einsatz, in diesem Jahr wurden sie von einer App abgelöst. Und nicht nur das war neu: Während die Guides sich auf Informationen zu den Werken und Künstlern beschränkten, verzichtete dMAPS gerade auf solche Angaben, die im Begleitbuch zur Ausstellung nachzulesen waren. Stattdessen bot die von einem eigenen Redakteur verantwortete App Videos und Soundperformances als Ergänzungen zu den gezeigten Arbeiten.

Grundsätzlich gilt: Je jünger die Kunst in den Museen, desto jünger und technikaffiner das Publikum. So nutzt man in München Audioguides in der Alten und Neuen Pinakothek, während in der Pinakothek der Moderne aufwendigere Multimediaguides und Apps zum Einsatz kommen. Zuletzt etwa bei „Frauen“, einer Schau mit Werken von Picasso, Beckmann und de Kooning. Der Ausstellungsbesucher konnte auf dem Leihgerät Videos abspielen, die etwa Picasso beim Malen zeigten, und sich auf dem Display Fotos von Beckmanns Ehefrauen Minna und Quappi ansehen. „Von Joseph Beuys kann man Videos zeigen, von Tizian nicht“, sagt Jochen Meister, Referent für Kunstvermittlung an den Pinakotheken. „Auch deshalb bieten sich Multimediaguides in Museen für moderne und zeitgenössische Kunst viel eher an.“

Aber es tun sich auch Probleme auf. Im Audioguide des Münchner Museums Brandhorst wird Cy Twomblys Tod 2011 nicht erwähnt – Aktualisierungen sind teuer. Und für den Einsatz von Apps muss man für einen begrenzten Zeitraum Bildrechte erwerben, wenn der Künstler noch nicht länger als 70 Jahre tot ist. Auch für die Nutzer können Apps kostspielig werden – wenn sie aus dem Ausland kommen und Roaminggebühren zahlen müssen.

Dennoch ist der Streit um Audioguides und Apps vor allem ein ideologischer. Beflügelt durch Manfred Spitzers Bestseller „Digitale Demenz“, ist Kritik am technischen Hilfsmittel gerade en vogue. Der Hirnforscher Ernst Pöppel ist da anderer Meinung: Man könne, so der 72-Jährige, zu einem Bild nur dann einen Zugang finden, wenn man einen inneren Rahmen herstellt, es in einen Kontext setzt. Sonst sei man blind für das Kunstwerk. Pöppel, der über 40 Jahre Medizinische Psychologie lehrte, ist kunstbegeistert seit seiner Kindheit und hat selbst gerade ein Buch über Kreativität herausgegeben. Mit Olafur Eliasson verbindet ihn eine Freundschaft. Bei seinen Überlegungen beruft er sich auch auf den amerikanischen Philosophen und Kunstkritiker Arthur Danto und dessen Idee der „Aboutness“: Der Betrachter benötigt einen Rahmen der Information, der das notwendige Wissen zum Verständnis eines Werks liefert. Gerade Museumsbesucher aus anderen Kulturkreisen oder solche, die zu jung sind, um biblische, mythologische oder (kunst-)historische Bezüge herstellen zu können, brauchen dieses Wissen.

Erst das ermöglicht die zweite Ebene, das kontemplative Verweilen, die Pause, „um nicht nur zu glotzen, sondern richtig zu sehen“. Pöppel findet, Audioguides sollten empfehlen, nach dem Anhören eines Textes noch eine Minute vor dem Kunstwerk stehenzubleiben. Erst dann entstünden die inneren Bilder.

Rosemarie Wirthmüller kennt die Debatten gut. Sie hat das Konzept in den späten 80ern aus den USA nach Deutschland gebracht und arbeitet heute bei Antenna Audio, dem Weltmarktführer, der auch den Pariser Louvre und die National Gallery in London mit Geräten ausstattet. Kritik an den Guides empfindet sie als arrogant; kleine Kinder setze man schließlich auch nicht vor Bücher und sage: So, jetzt lies! Gerade Guides, die auf Zielgruppen wie Kinder oder Seh- und Hörbehinderte abgestimmt sind, werden attraktiver, glaubt sie. In Deutschland sind barrierefreie Guides noch nicht so verbreitet wie im Ausland. Die Österreichische Galerie Belvedere in Wien beispielsweise bietet Multimediaguides mit Videos für gehörlose Besucher, in denen die Kunst in Gebärdensprache erklärt wird.

Das könnte es bald auch in Berlin geben. Die Firma Tonwelt und die Staatlichen Museen Berlin arbeiten seit gut einem Jahr zusammen und planen auch die Einführung von Gebärdenguides. Schließlich ist Christoffer Richartz, Chef der Besucherdienste, ein Freund technischer Hilfsmittel. Sein Motto ähnelt dem von Ernst Pöppel: „Was man weiß, sieht man erst“, zitiert er Goethe. „Die Fähigkeiten, Bilder beschreiben und erinnern zu können, waren immer nur Hilfsmittel. Wenn ich etwas auf einem Display zeigen kann, warum muss ich es dann noch beschreiben?“

Wobei die Guides nicht die Schrifttafeln zu den Werken ersetzen sollen. Erzählen statt erklären, lautet die Devise. Bei zeitgenössischer Kunst, etwa im Hamburger Bahnhof, kommen zudem die Künstler selbst zu Wort. Apps wiederum sind gut geeignet, um Architektur zu vergegenwärtigen. „Wir können“, so Richartz, „die Neue Wache nun mal nicht in die Ausstellung bringen.“ So kommt die Ausstellung zum Bauwerk, die Kunst wird mobil – und beflügelt den Blick des Betrachters.

Kaspar Heinrich

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