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Kultur: Man streue Wohlklang ins Getöse!

ROCK

Keine Träne hatte man dem Maria am Ostbahnhof nachgeweint nach dessen Schließung als Konzertsaal. Das neue Maria ist auch nicht besser. Eine verrottete Betonbude ohne Charme und Lüftung. Die Luft ist blau und neblig nikotinisiert. Spät kommt einer mit Jacke, Mütze, Gitarre, Harmonika. Spielt rasant schönes Fingerpicking aus der Fahey-Kottke-Schule. Zieht Gitarre und Schultern hoch, Mütze ins Gesicht. Wie Dylan im Minnesota-Schneesturm. Singt „Buckets Of Rain“. Und ist schon wieder weg nach sechs Songs. Zu hallig polternder Disco-Mucke vom Band werden auf der Bühne Instrumente und Mikros gerichtet: One, two, one, two. Es dauert. Kurz vor elf dimmert das Licht, pocht und zischelt eine Rhythmusmaschine. Der dicke bebrillte James McNew setzt Basstöne drauf, der ringelhemdige Ira Kaplan eine zirrende Gitarre daneben. Und die Gemahlin Georgia Hubley legt ein doorsiges E-Piano unter. Hypnotische Klirr- und Schleifklänge. Treibsounds. Yo La Tengo aus Hoboken, New Jersey sind ein bizarres Trio.

Tauschen ständig Instrumente und Bühnenseiten. Kaplan zuckt an den Keyboards, zu wildem Marakas- und Kopfgeschüttel. Und einer Stimme wie ein psychotischer Jagger. Madame knallt ins Schlagzeug, nietet Velvet Underground in Schwermetall. Eine durchgeknallte Mischung aus Amon Düül, Grateful Dead und Industriehölle. Lärm-Inferno. So dicht. So nervig. Und doch irgendwie schön. Georgias Gesang erinnert an Nico und Mo Tucker. Und plötzlich ist da sogar Wohlklang. Für eine Weile. Melodien. Ruhigere Passagen. Durchgänge. Übergänge. Dann kracht es wieder. Yo La Tengo wissen genau was sie machen. Organisiertes Chaos. Diszipliniertes Getöse. Vielfalt. Wechsel. Und sie machen’s gerne. Das sieht man. Und das Publikum hört’s gerne.

H.P. Daniels

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